Ein Jahr nach seiner Verurteilung durch das Landgericht Detmold ist der frühere Auschwitz-Wachmann Reinhold Hanning im Alter von 95 Jahren gestorben. Weil der Bundesgerichtshof nicht mehr über die Revision entscheiden konnte, wird das Urteil nicht rechtskräftig, wie Hannings Rechtsanwalt Andreas Scharmer am Donnerstag in Detmold sagte. Das Internationale Auschwitz Komitee würdigte, dass in dem Prozess der Völkermord thematisiert werden konnte.
Der frühere SS-Wachmann aus dem nordrhein-westfälischen Lage war im Juni 2016 wegen Beihilfe zum Mord in mindestens 170.000 Fällen zu fünf Jahren Haft verurteilt worden. Mit dem Zustand, dass es kein rechtskräftiges Urteil gebe, müssten nun die Familie des Angeklagten sowie die Kläger leben, sagte Anwalt Scharmer. Der Bundesgerichtshof werde nach einer Prüfung den Fall einstellen.
mittäterschaft Die Schwurgerichtskammer des Landgerichts Detmold sah es als erwiesen an, dass Hanning in seiner Funktion als Wachsoldat im Konzentrationslager Auschwitz in der Zeit von Januar 1943 bis Juni 1944 dazu beigetragen hat, dass die tausendfachen Morde geschehen konnten. Insgesamt war Hanning rund zweieinhalb Jahre in Auschwitz. Eine Mittäterschaft konnte nach Ansicht der Kammer jedoch nicht nachgewiesen werden.
Hanning hatte in dem Verfahren zwar eingeräumt, von Massenmorden im Konzentrationslager Auschwitz gewusst zu haben. Vor Gericht hatte er erklärt, er bereue, einer Organisation angehört zu haben, die für den Tod vieler unschuldiger Menschen verantwortlich gewesen sei. Eine Beteiligung an den Morden bestritt er jedoch.
Das Simon Wiesenthal Center mahnte nach dem Tod Hannings die deutschen Justizbehörden, die verbleibenden Nazi-Kriegsverbrecher-Fälle zu beschleunigen. Efraim Zuroff sagte: »Die Bestrafung verurteilter Nazi-Kriegsverbrecher ist ein integraler und höchst bedeutender Bestandteil des Prozesses. Die Tatsache, dass keiner der drei Verurteilten seine Strafe hat antreten müssen, schwächt die Auswirkung dieser wichtigen juristischen Entscheidung.« Keiner dürfe seiner Strafe aufgrund von »Bürokratie und/oder falschem Mitgefühl entkommen«.
mordmaschinerie Das Internationale Auschwitz Komitee erklärte, Auschwitz-Überlebende in vielen Ländern seien angesichts von Hannings Tod bewegt, dass dieser »nach langen Jahrzehnten der Versäumnisse doch noch zu seinen Lebzeiten vor einem irdischen Gericht in Deutschland gestanden hat« und sich für seine Mitwirkung an der Mordmaschinerie verantworten musste. Über eine kurze Erklärung hinaus habe Hanning im Gericht kein persönliches Wort gegenüber den Überlebenden geäußert, beklagte der Exekutiv-Vizepräsident Christoph Heubner. Dennoch sei der Prozess »eine weltweit wahrgenommene Lehrstunde dafür, dass Völkermord nicht vergessen werden kann und vergessen werden darf«.
In dem von Februar bis Juni vergangenen Jahres verhandelten Prozess war einer der letzten noch lebenden mutmaßlich Verantwortlichen für Verbrechen der Nationalsozialisten angeklagt gewesen. In einem weiteren Auschwitz-Prozess war 2015 der frühere SS-Mann Oskar Gröning vom Lüneburger Landgericht wegen Beihilfe zum Mord in mindestens 300.000 Fällen zu vier Jahren Gefängnis verurteilt worden.
beihilfe Eine Neuorientierung der deutschen Justiz in der Behandlung von NS-Verbrechen gibt es seit Mai 2011, als John Demjanjuk wegen Beihilfe zum Mord an 28.060 Menschen zu fünf Jahren Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt wurde. Bis dahin war es meist Praxis, einen konkreten Tatnachweis zu verlangen; im Demjanjuk-Urteil wurde aber darauf hingewiesen, dass jede Tätigkeit eines SS-Mannes in einem KZ die Mordmaschinerie aufrechterhielt, mithin Beihilfe war.
Wie auch im Fall Gröning lag das Urteil von Hanning dem Bundesgerichtshof zur Revision vor. Die gerichtliche Entscheidung gegen Gröning ist inzwischen rechtskräftig. ja/epd