Die Alternative für Deutschland (AfD) hat derzeit Aufwind, sie liegt in mehreren Umfragen gleichauf mit der Kanzlerpartei SPD. Das allein ist nicht neu: Bereits 2018 konnte die Partei zeitweise 18 Prozent auf sich verbuchen. Doch werden aktuell die Gründe für die Zuwächse der Rechtspopulisten heftig debattiert.
CDU-Chef Friedrich Merz sieht die Ursachen im »Justemilieu« der Regierungsparteien, die den »ganz normalen Leuten kein Gehör« mehr schenkten. Das ist die Deutung der AfD als Protestpartei. Sie ist jedoch im Lichte dessen, was wir heute über die AfD-Wählerschaft wissen, so nicht zu halten.
Protestwählen bedeutet nämlich, den eigentlich präferierten Parteien einen Denkzettel zu verpassen. Auf die gegenwärtige Situation bezogen hieße das, wegen des Skandals um einen Staatssekretär im Wirtschaftsministerium oder wegen der Heizungspolitik Robert Habecks oder der insgesamt holprigen Performance der Bundesregierung Protest zu wählen.
Überzeugung Aber sind AfD-Wähler Enttäuschte oder Überzeugte? Man kann sich die Wählerpotenziale politischer Parteien wie eine Zwiebel vorstellen: je tiefer die Schicht, desto stärker die Bindung an die Partei. Die inneren Schichten bilden demnach die treuen Stammwähler, auf den äußeren findet man Sympathisanten und Wechselwähler. Doch wie dick sind die jeweiligen Schichten, wie groß ist der Anteil derer, die die Partei kurzfristig und ohne große inhaltliche Übereinstimmung unterstützen?
Schon 2017 zeigten Studien, dass der Anteil der Personen, die nicht bereit sind, eine andere Partei als die von ihnen präferierte zu wählen, bei der AfD mit Abstand am größten ist. Die Ursache ist in zwei Alleinstellungsmerkmalen der Partei zu suchen. Erstens steht die AfD für die Ablehnung der liberalen Gesellschaftsordnung, vertritt restriktive Positionen zu Einwanderung und Asylpolitik sowie ein traditionalistisches Familien- und Geschlechterbild. Damit besetzt die Partei ein Feld, das die CDU/CSU unter der eher liberalen Kanzlerschaft Angela Merkels bereits vor Jahren geräumt hat.
Die AfD ist nicht nur eine neue konservative Partei. Ihr zweites Alleinstellungsmerkmal ist der Populismus.
Aber die AfD ist nicht nur eine neue konservative Partei. Ihr zweites Alleinstellungsmerkmal ist der Populismus. Auf der einen Seite steht das vermeintlich »gute« Volk, dem ein gemeinsamer politischer Wille unterstellt wird: der angeblich »gesunde Menschenverstand« der »normalen Leute«. Auf der anderen Seite ist da die Ablehnung der »politischen Klasse« als Ganzes. Ihr wird von der AfD Egoismus, Abgehobenheit und Elitismus unterstellt.
wählerschaft Wir wissen über die Wählerschaft der AfD, dass sie ideologisch sehr weit rechts steht. Zugleich sind die AfD-Unterstützer von allen Wählern aber auch am stärksten populistisch eingestellt. Sie bilden also in doppelter Hinsicht eine relativ geschlossene Gruppe. Das ist auch der Grund, warum sie für die anderen Parteien so schwer erreichbar sind. Denn wer die AfD unterstützt, tut dies typischerweise, weil er genau jenes illiberale Demokratie- und Gesellschaftsverständnis teilt, das diese Partei repräsentiert.
Die aktuellen Umfrage-Zuwächse der AfD fallen ins Auge. Sie sind aber noch im Rahmen der üblichen demoskopischen Schwankungen. Dennoch könnte es sein, dass die AfD ein Wählerpotenzial hebt, das bislang bei anderen Parteien verankert war. Das derzeit als unzureichend, ja als chaotisch wahrgenommene Agieren der Ampelkoalition könnte Anlass geben, nun auch tatsächlich zur AfD zu wechseln – und sei es nur, wenn das Umfrageinstitut anruft oder man einen Fragebogen ausfüllen soll.
AfD-Wähler stehen sehr weit rechts und bilden eine relativ geschlossene Gruppe.
Wie stabil dieses mögliche zusätzliche AfD-Wählerpotenzial ist, kann derzeit nur mit Vorsicht beantwortet werden. Bislang hat die AfD-Wählerschaft eine vergleichsweise geringe Wechselbereitschaft gezeigt.
Die entscheidende Frage ist: Können diese Wähler von den anderen Parteien überhaupt noch erreicht werden? Kernproblem aller Gegenstrategien ist, dass die AfD politisch weit entfernt vom Zentrum des deutschen Parteiensystems verortet ist. Konkurrenten müssten einen gewaltigen Sprung wagen, um die AfD »einzuholen«. Mit einer programmatischen Anpassung allein, etwa einer restriktiveren Migrationspolitik, ist es nicht getan, denn die Treue zur AfD entsteht nicht nur aus den gesellschaftspolitischen Einstellungen, sondern eben auch aus ihrem Hang zum Populismus.
Rhetorik Die Union versucht sich aktuell an einer Strategie, welche populistische Rhetorik gegen das Justemilieu mit Anti-Modernisierungs-Affekten vereint. So wettert Merz gegen gendergerechte Sprache und gegen »Woke«. Aus Sicht der Christdemokraten ergibt dieses Vorgehen intuitiv zunächst Sinn. Nur bestellt der Versuch, die Wähler der AfD durch ein konservativeres Profil anzusprechen, eben genau jener Formation das Feld. Wenn Merz beispielsweise von einer angeblichen »Cancel Culture« als »größter Bedrohung der Meinungsfreiheit in Deutschland« spricht, verschwimmen die Unterschiede zum Krisennarrativ der AfD.
Es ist deswegen nicht ausgemacht, dass diese Strategie für die Union erfolgversprechend sein wird. Für die oftmals treuen AfD-Wähler gibt es keinen Grund, zu den Christdemokraten zu wechseln, wenn diese im Grunde dasselbe sagen wie die AfD. Und auf der anderen Seite besteht das Elektorat der Union eben auch aus eher liberalen Wählern, und diese Gruppen könnten sich beim Versuch eines Rechtskurses von der CDU abwenden. Es käme also einem Nullsummenspiel, vielleicht sogar einem Verlustgeschäft, gleich. Riskant ist es allemal.
Eine aussichtsreiche Strategie im Umgang mit der AfD zeichnet sich derzeit nicht ab. Ein erster Schritt wäre allerdings bereits getan, würde man davon absehen, die Wahl der AfD im Lichte eines diffusen Protestes zu deuten. Wer AfD wählt, weiß in der Regel genau, was er tut. Damit müssen die anderen Parteien umgehen.
Der Autor ist Politikwissenschaftler und Privatdozent an der Universität der Bundeswehr Hamburg. Er forscht zu Demokratie, Populismus und Illiberalismus.