»Ich kann, ehrlich gesagt, nicht verstehen, warum Sie mit ihrer Familie hierbleiben.« Das sagte mir kürzlich eine Frau, als ich mich als Landtagskandidat vorstellte und wir auf den Anschlag von Halle zu sprechen kamen.
Mir fällt die Antwort darauf leicht, trotz Kloß im Hals: »Wir bleiben hier und sehen nicht tatenlos zu, dass Halle und ganz Sachsen-Anhalt für Minderheiten unbewohnbar werden. Denn dann haben die AfD und alle ihre offenen und versteckten Unterstützerinnen und Unterstützer auch ohne Regierungsverantwortung schon gewonnen.« Die Antwort überzeugte die Frau, aber sie sprach mir dennoch ihr Mitgefühl aus.
plakat Mein Wahlkreis umfasst das Synagogenviertel. Genau davor habe ich zwei Plakate von mir aufgehängt. Symbolisch finde ich diese Präsenz wichtig. Dann erreichte mich eine Nachricht, dass ein Plakat nahe der Synagoge mit Mist beschmiert worden sei. Mangels Foto wusste ich nicht, um welches Plakat es sich handelte. Als ich nachschaute, war ich erleichtert: Es war das Plakat ein paar 100 Meter weiter. Antisemitismus lässt sich aus bloßem Mist nicht herauslesen. Ich nahm die Sache mit Humor.
Dann meldete sich der Staatsschutz bei mir. Die Beamten seien im Bilde. Das alles bewirkt eine paradoxe Gefühlslage. Klar, die präventive Kontaktaufnahme durch die Sicherheitsorgane gibt Sicherheit; auch das Mitgefühl der Frau war ehrlich.
konsequenz Aber in der Konsequenz dominiert ein Gefühl: Meine Kandidatur ist nicht normal. Minderheiten in Sachsen-Anhalt sind in den öffentlichen Institutionen wie Verwaltungen, Polizei, aber auch in der Politik mangelhaft repräsentiert. Bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt am 6. Juni bin ich der einzige Kandidat, dessen Muttersprache nicht Deutsch ist. Dabei stieg die Zahl antisemitischer und rechtsextremer Übergriffe in den letzten Jahren kontinuierlich.
Der Kampf gegen diese gefährlichen Entwicklungen muss offensichtlich aus der Mitte der Gesellschaft geführt werden. Bisher ist dies aber leider noch eine Baustelle.
Der Autor ist SPD-Politiker in Sachsen-Anhalt und kandidiert bei der Landtagswahl.