Durch die coronabedingte Verschiebung erhalten Sie diese Ehrung jetzt zum Ende Ihrer Amtszeit. Dennoch empfinde ich das als einen guten Zeitpunkt, weil es Ihre gesamte Amtszeit in dieser Hinsicht zu würdigen gilt, nämlich Ihre Verdienste um den christlich-jüdischen Dialog. (…)
Und weil diese Frage im Raum steht, ist es genau der richtige Zeitpunkt, unsere Bundeskanzlerin dafür zu würdigen, wie sie sich über all die Jahre ihres politischen Wirkens für das Miteinander der Religionen und für Israel eingesetzt hat und aus der historischen Verantwortung Deutschlands heraus gehandelt hat!
STANDFESTIGKEIT Was Sie, sehr geehrte Frau Merkel, besonders auszeichnet, ist Ihre Standfestigkeit. Ihre Solidarität mit Israel, Ihr Eintreten für die Religionsfreiheit, Ihr Engagement gegen Antisemitismus – all das ist bei Ihnen nicht abhängig von politischen Stimmungslagen, sondern es geschieht aus Überzeugung. Und an diesen Überzeugungen halten Sie auch fest, wenn es gerade nicht populär ist, wenn Sie dafür heftig kritisiert werden oder wenn es Rückschläge zu verzeichnen gibt.
In Zeiten, in denen politischer Populismus leider häufig mit vielen Wählerstimmen belohnt wird, ist diese Standfestigkeit höher zu schätzen denn je.
Es sind Ereignisse, die vor allem in der jüdischen Gemeinschaft bis heute wertgeschätzt werden.
An ein paar Kristallisationspunkte Ihrer Kanzlerschaft möchte ich heute erinnern. Es sind Ereignisse, die vor allem in der jüdischen Gemeinschaft bis heute wertgeschätzt werden.
Unvergessen ist Ihre Rede in der Knesset. 2008 sagten Sie im israelischen Parlament: »Diese historische Verantwortung Deutschlands ist Teil der Staatsräson meines Landes. Das heißt, die Sicherheit Israels ist für mich als deutsche Bundeskanzlerin niemals verhandelbar.« (…) Dieses Verantwortungsbewusstsein für Israel, resultierend aus der deutschen Geschichte, muss auch dann noch Bestand haben, wenn längst andere Generationen die politische Verantwortung im Land übernommen haben!
BESCHNEIDUNG Ihr historisches Verantwortungsbewusstsein war ebenfalls zu spüren, als Bundeskanzlerin Angela Merkel 2012 die Ratsversammlung des Zentralrats der Juden in Frankfurt besuchte. Sie erhielt Standing Ovations. Denn uns Delegierten aus den jüdischen Gemeinden und Landesverbänden war völlig klar: Ohne diese Bundeskanzlerin wäre es nicht dazu gekommen, dass der Bundestag mit großer Mehrheit das Beschneidungsgesetz verabschiedet hätte.
Nach dem unseligen Urteil des Landgerichts Köln hatte sich mein Amtsvorgänger Dieter Graumann sehr schnell mit der Bundeskanzlerin in Verbindung gesetzt. Denn wenn es geltendes Recht geworden wäre, dass die Beschneidung als Körperverletzung eingestuft und daher verboten worden wäre, dann wäre jüdisches Leben in Deutschland unmöglich geworden. (…)
Neben der interreligiösen Verständigung war und ist der Bundeskanzlerin die Bekämpfung des Antisemitismus besonders wichtig.
Neben der interreligiösen Verständigung war und ist der Bundeskanzlerin die Bekämpfung des Antisemitismus besonders wichtig. Daher hatte sie auch ein offenes Ohr, als wir ihr vorschlugen, nach der Bundestagswahl 2017 einen Antisemitismusbeauftragten zu berufen. (…) Es ist ein deutlicher Fortschritt, dass wir mit Felix Klein einen engagierten Beauftragten für das jüdische Leben und den Kampf gegen Antisemitismus auf Bundesebene haben und dass in den Bundesländern ebenfalls Beauftragte berufen wurden. (…)
MENSCHLICHKEIT Abschließend möchte ich noch den Besuch der Kanzlerin in der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau im Dezember 2019 erwähnen. Sie fanden dort sehr eindringliche Worte, die ich noch einmal wiedergeben möchte: »(…) Wir erleben einen besorgniserregenden Rassismus, eine zunehmende Intoleranz, eine Welle von Hassdelikten. Wir erleben einen Angriff auf die Grundwerte der liberalen Demokratie und einen gefährlichen Geschichtsrevisionismus im Dienste einer gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit. (…) Gerade Auschwitz mahnt und verpflichtet jeden Einzelnen von uns, täglich wachsam zu sein, Menschlichkeit zu bewahren und die Würde unseres Nächsten zu schützen.«
Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, für uns, die jüdische Gemeinschaft in Deutschland, bedeutet es sehr viel, dass Sie Auschwitz besucht und dort diese Worte gesprochen haben!
HUMOR (…) Es sind keine leichten Zeiten. Doch gerade deshalb möchte ich zum Schluss auf eine Eigenschaft von Angela Merkel eingehen, die ich wichtig finde: Das ist ihr Humor.
Sie alle kennen den Spruch: Humor ist, wenn man trotzdem lacht. Das ist, wenn man so will, das Grundprinzip des jüdischen Humors. (…) Und, gestatten Sie mir bitte diese Bemerkung, sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, ich habe den Eindruck, dass Sie, was den Humor angeht, fast ein wenig jüdisch sind.