Die jüngste Aufdeckung von rechtsradikalen Machenschaften beim »Kommando Spezialkräfte« (KSK) der Bundeswehr hat bei uns und auch im Ausland zu bemerkenswerten Reaktionen geführt, die von Erstaunen über Enttäuschung bis zu Empörung und Abscheu reichen. Wer jedoch die Bundeswehr insgesamt und das KSK im Besonderen nicht erst seit heute beobachtet und begleitet, kommt in der nüchternen Analyse zu einigen Fakten, die seit Langem vorhersehbar waren.
KSK Von zentraler Bedeutung ist natürlich die Frage, wie es 65 Jahre nach Gründung der Bundeswehr dazu kommen konnte, dass eine ganze Kompanie der Elite-Einheit KSK wegen rechtsradikaler Umtriebe auf-
gelöst werden musste.
Die Ursachen für die unzureichende gesellschaftliche Einbindung liegen einerseits im tief verwurzelten Pazifismus.
Die einfache Antwort lautet: Hier haben Vorgesetzte und militärische Führung in jeder Hinsicht versagt, denn offensichtlich konnte sich – wie schon vergleichbare Vorkommnisse in der Vergangenheit zeigten – eine gefährliche Parallelwelt zum regulären Truppenbetrieb entwickeln. Und tatsächlich sind mangelnde Dienstaufsicht, Vernachlässigung von politischer und ethischer Bildung sowie Personalmangel und Dauerstress wichtige Bestandteile einer ehrlichen Analyse.
MAD Auch das Totalversagen des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) gibt erneut Anlass, auf die Auflösung dieser völlig überforderten Institution zu dringen.
Es wäre jedoch zu kurz gesprungen, wollte man bei der Aufarbeitung des KSK-Skandals und vergleichbarer Fälle den Aspekt der gesellschaftlichen Verantwortung außen vor lassen. In einer »Zentralen Dienstvorschrift Innere Führung« sind sämtliche Grundsätze verankert, die nicht nur rechtsradikales Gedankengut, sondern schlichtweg alles ausschließen, was die Würde des Menschen antasten könnte. Aber diese zu Recht gelobten Prinzipien der Inneren Führung sind wohl über Jahrzehnte hinweg im realen Soldatenalltag der Bundeswehr »bedrucktes Papier« geblieben.
Ein zentraler Grundsatz dieser Inneren Führung ist die Verankerung der Bundeswehr in der Gesellschaft. Ausgehend von den historischen Erfahrungen in der Hitler-Diktatur war es bei der Gründung der Bundeswehr der kompromisslose politische Wille, dass die Bundeswehr nie wieder für politische Zwecke missbraucht werden darf und deshalb fest in die Zivilgesellschaft zu integrieren sei.
Empathie Zwingende Voraussetzung hierfür wiederum ist die gesellschaftliche Bereitschaft, sich mit den deutschen Streitkräften auch emotional zu verbinden und den Soldatinnen und Soldaten – wie es in anderen Staaten selbstverständlich ist – ein Mindestmaß an Anerkennung, ja auch an Empathie entgegenzubringen. An dieser gesellschaftlichen Akzeptanz der Bundeswehr hat es jedoch immer gemangelt.
Wie in anderen Staaten, ist ein Mindestmaß an Anerkennung nötig.
Die Ursachen für die unzureichende gesellschaftliche Einbindung liegen einerseits im tief verwurzelten Pazifismus, wie er bis heute gerade im linken politischen Spektrum und im kirchlichen Milieu anzutreffen ist. Andererseits besteht ein politisches Versäumnis darin, in der bundesdeutschen Gesellschaft einen gesunden demokratischen Verfassungspatriotismus und eine damit verbundene Verteidigungsbereitschaft zu entwickeln.
Haltung Gerade die Aussetzung der Wehrpflicht vor neun Jahren hat das von Horst Köhler so bezeichnete »freundliche Desinteresse« an der Bundeswehr in eine höchst traurige Richtung driften lassen, und heute ist diese weitverbreitete Haltung eher ignorant bis feindselig zu nennen.
Wenn heute die mangelnde Transparenz mit Blick auf das KSK beklagt wird, müssen sich die politisch Verantwortlichen, und hier in erster Linie der Deutsche Bundestag, die Frage gefallen lassen, weshalb von den derzeit 709 Abgeordneten nicht einmal zehn Prozent intensiv mit der Sicherheitspolitik und der Bundeswehr befasst sind. Für die ganz überwiegende Mehrheit der Volksvertreter steht die Bundeswehr ganz unten auf der politischen Agenda. Und die Angehörigen der Bundeswehr bekommen das deutlich zu spüren.
Wen wundert es dann, wenn die alljährlich wiederkehrenden Mängelberichte, Warnungen und Empfehlungen der jeweiligen Wehrbeauftragten zwar mit großem medialen Interesse zur Kenntnis, in den wenigsten Fällen aber richtig ernstgenommen, geschweige denn in politisches Handeln umgesetzt wurden?
Defizite So gibt es seit Jahrzehnten immer wieder Hinweise auf rechtsradikale Auffälligkeiten, die meistens verharmlosend als sogenannte Propagandadelikte deklariert werden. Ebenso werden jährlich die Defizite beim politischen und lebenskundlichen Unterricht beklagt. Nicht zuletzt deshalb kann die Schaffung einer zusätzlichen – nämlich jüdischen – Säule der Militärseelsorge gar nicht hoch genug bewertet werden, weil damit die Wertevermittlung ganz wesentlich gestärkt wird.
Es wäre wohlfeil und dumm, den jüngsten Skandal beim KSK dafür zu instrumentalisieren, einen Generalverdacht gegen alle Soldatinnen und Soldaten neu aufzubrühen.
Vielmehr sollten die endlich auf dem Tisch liegenden Erkenntnisse als Grundlage für eine breite und intensiv geführte gesellschaftliche Debatte über die Zukunft der Bundeswehr genutzt werden. Die Bundeswehr als »Parlamentsarmee« hat einen verbrieften Anspruch auf gesellschaftliche Anerkennung, auf unser aller Interesse und unser aller Respekt.
Der Autor war von 1994 bis 2005 Mitglied des Deutschen Bundestags und bis 2010 der Wehrbeauftragte. Von 2010 bis 2015 war er Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft. Der SPD-Politiker ist heute als Politik- und Wirtschaftsberater tätig.