Reaktionen

Augen auf Berlin

Blick von oben auf das Reichstagsgebäude, den Sitz des Deutschen Bundestags Foto: picture alliance / dpa

Er war einer der ersten Gratulanten: Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sprach noch am Wahlabend mit CDU-Chef Friedrich Merz. Der dürfte, falls alles nach Plan geht, bald sein deutscher Amtskollege werden. Ein »herzliches Gespräch« sei es gewesen, teilte Netanjahus Büro im Anschluss mit. Merz habe den israelischen Regierungschef sogar nach Deutschland eingeladen, und das, obwohl die Bundesrepublik Mitgliedsstaat des Internationalen Strafgerichtshofs sei. Das Haager Gericht hatte vor einigen Monaten einen Haftbefehl gegen Netanjahu ausgestellt. Seitdem tobt ein Streit, ob er ausgeführt werden muss.

Merz will nicht, dass der Haftbefehl einem Besuch Netanjahus in Deutschland im Wege steht. Schon vor zwei Wochen hatte der CDU-Vorsitzende im Interview mit dieser Zeitung angekündigt, dass unter seiner Regierung der Haftbefehl nicht vollstreckt werden würde. Am Montag bestätigte Merz das in seiner Pressekonferenz im Konrad-Adenauer-Haus. Man werde Mittel und Wege finden, dass Netanjahu Deutschland besuchen und wieder verlassen könne, ohne festgenommen zu werden. Es sei eine »ganz abwegige Vorstellung, dass ein israelischer Ministerpräsident die Bundesrepublik Deutschland nicht besuchen kann«, betonte er.

Netanjahus offenbar gute Beziehung zu Merz wurde auch in der israelischen Presse hervorgehoben. Allerdings wies die linke Tageszeitung »Haaretz« auf Unterschiede zwischen den beiden hin: Merz habe »trotz des beeindruckenden Ergebnisses« der AfD klar gemacht, dass er nicht mit ihr zusammenarbeiten wolle. Anders Netanjahu: Der habe 2022 der extremen Rechten »beispiellose Macht gegeben«, obwohl seine Koalitionspartner deutlich schwächere Ergebnisse erzielt hätten als die AfD.

Jüdischer Weltkongress setzt Hoffnung in Deutschlands Demokratie

Einige internationale jüdische Verbände konzentrierten sich in ihren Reaktionen eher auf die CDU/CSU und ihren Kanzlerkandidaten. In New York erklärte der Jüdische Weltkongress (WJC), bei der Regierungsbildung in Deutschland sei »eine starke und prinzipientreue Führung unerlässlich, um Stabilität zu gewährleisten und den dunkelsten Impulsen der Gesellschaft zu widerstehen«.

Deutschland sei »ein Eckpfeiler der europäischen Demokratie«, seine Führung trage »eine immense Verantwortung«. Der WJC ermutigte die Union, »der Sicherheit und dem Wohlergehen der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland Vorrang einzuräumen, den Schutz für Juden in ganz Europa angesichts zunehmender Bedrohungen zu stärken und die unerschütterliche Unterstützung Deutschlands für Israel zu bekräftigen«.

Deutschland-Kenner Menachem Rosensaft, bis zu seiner Pensionierung beim Weltkongress als Justiziar tätig, lobte im Gespräch mit der Jüdischen Allgemeinen ausdrücklich die klare Abgrenzung des CDU-Chefs gegenüber rechts außen. »Der Aufstieg der AfD ist extrem beunruhigend. Aber dass Merz noch am Wahlabend, bevor das Endergebnis feststand, klipp und klar festgestellt hat, dass es keine Zusammenarbeit geben werde, war extrem wichtig und beruhigend«, so Rosensaft. Das mache ihn optimistisch für die Zukunft Deutschlands, so der 76-Jährige.

Der Europäische Jüdische Kongress nennt den Wahlerfolg der AfD »alarmierend«.

Die Anti-Defamation League (ADL) wollte sich auf Nachfrage der Jüdischen Allgemeinen nicht eingehender zum Wahlausgang äußern und verwies auf ihren Post auf der Plattform X. Dort hatte die Organisation den Zentralrat der Juden in Deutschland zitiert: »Es muss uns alle beunruhigen, dass ein Fünftel der deutschen Wähler ihre Stimme einer Partei gibt, die zumindest in Teilen rechtsextrem ist und ganz offen nach sprachlichen und ideologischen Verbindungen zum Rechtsradikalismus und Neonazismus sucht.«

Das American Jewish Committee (AJC) veröffentlichte auf seiner Webseite eine Einordnung zum Ausgang der Bundestagswahl, in der es heißt: »Die Wahlergebnisse deuten darauf hin, dass die AfD künftig eine größere politische Rolle als zuvor spielen könnte, selbst wenn sie nicht Teil einer Regierungskoalition wird.«

Die Rechtsaußenpartei habe, so das AJC, in letzter Zeit die Aufmerksamkeit führender US-Politiker auf sich gezogen, darunter die von US-Vizepräsident JD Vance, der sich in München vor zwei Wochen mit AfD-Chefin Alice Weidel getroffen hatte, was beim AJC auf scharfe Kritik gestoßen war: »Die AfD ist eine Partei mit einer klaren Vorgeschichte von Antisemitismus und Feindseligkeit gegenüber Amerika«, so die Organisation, die auch ein Büro in Berlin unterhält.

Sorge vor wachsendem Einfluss der AfD

Der Europäische Jüdische Kongress (EJC) nannte den Wahlerfolg der AfD »alarmierend«. Einige Mitglieder der Partei würden offen antisemitische Rhetorik verwenden. »Der wachsende Einfluss der AfD stellt eine ernsthafte Herausforderung für die demokratischen Werte in Deutschland und ganz Europa dar.«

Der Präsident der Europäischen Rabbinerkonferenz, Pinchas Goldschmidt, freute sich dagegen über den Wahlausgang. Er hoffe, dass es in Deutschland bald wieder einen »starken, respektierten Rechtsstaat« gebe, der »das Recht konsequent durchsetzt, Hass und Gewalt klar in die Schranken weist und den Bürgern sowie der jüdischen Gemeinschaft wieder ein Gefühl der Sicherheit gibt«, betonte Goldschmidt.

Eren Güvercin

Wo sind die Gelehrten, die der Fatwa gegen Israel widersprechen?

Ein ranghoher Geistlicher erklärt den Kampf gegen Israel zur Pflicht eines jeden Muslims. Kritik an diesem offenen Terroraufruf sucht man bei deutschen Islamverbänden vergeblich

von Eren Güvercin  16.04.2025

Finanzhilfe

Zentralrat: UNRWA darf in seiner derzeitigen Form keine Zukunft haben

Das Hilfswerk für die Palästinenser in Gaza steht nach zahlreichen Terrorvorfällen massiv in der Kritik

 16.04.2025

Berlin

Hisbollah-Anhänger bei Razzia in Neukölln festgenommen

Der Mann habe sich nach den Hamas-Massakern im Libanon ausbilden lassen, um gegen Israel zu kämpfen

 15.04.2025

Krieg in Gaza

»Fatwa«: Islamische Gelehrte rufen zum Dschihad gegen Israel auf

Ein in London ansässiger Verband hetzt gegen Israel. Die Deutsch-Israelische Gesellschaft sieht eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit auch in Deutschland

von Michael Thaidigsmann  15.04.2025

Essay

Warum ich stolz auf Israel bin

Das Land ist trotz der Massaker vom 7. Oktober 2023 nicht zusammengebrochen, sondern widerstandsfähig, hoffnungsvoll und vereint geblieben

von Alon David  15.04.2025 Aktualisiert

Joshua Schultheis

Im Krieg braucht es ein Korrektiv

Das israelische Militär will den verheerenden Angriff auf Krankenwagen in Gaza untersuchen. Es geht um viel: die Glaubwürdigkeit der Armee, Gerechtigkeit für die Toten und darum, sinnloses Leid künftig besser zu verhindern

von Joshua Schultheis  15.04.2025

Buchenwald-Gedenken

»Nehmen wir doch bitte das Gift aus der Debatte!«

Nach dem Eklat um die abgesagte Rede Omri Boehms sieht sich Jens-Christian Wagner scharfer Kritik seitens des israelischen Botschafters ausgesetzt. Wie blickt der Gedenkstättenleiter auf die heftige Diskussion der vergangenen Tage? Ein Interview

von Michael Thaidigsmann  15.04.2025 Aktualisiert

Berlin

Rekordzahl an Fällen von Hass auf Sinti und Roma

Hass und Diskriminierung in Bezug auf Sinti und Roma bleiben in der Hauptstadt auf einem erschreckend hohen Niveau. Dabei werden nicht einmal alle Fälle erfasst

 15.04.2025

Extremismus

Schüler aus Görlitz zeigen in Auschwitz rechtsextreme Geste

In sozialen Medien kursiert ein Foto des Vorfalls. Die Schulleitung reagiert prompt. Wie sehen die Konsequenzen für die Jugendlichen aus?

 14.04.2025