Bemerkenswert konkret ging es beim ersten Koordinierungstreffen der Antisemitismusbeauftragten von Bund und Ländern zu. Eingeladen hatte Felix Klein, der Bundesbeauftragte, und gekommen waren seine sechs Kollegen, die auf Landesebene bereits amtieren: aus Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt. Der Beauftragte aus dem Saarland wird beim nächsten Treffen dabei sein, noch wurde er nicht vom Landtag bestätigt.
APPELL Felix Klein formulierte den Appell an alle Bundesländer, möglichst bald Beauftragte zur Bekämpfung von Antisemitismus und zur Förderung jüdischen Lebens zu berufen. Damit der Appell auch fruchtet, will er bald an alle Ministerpräsidenten einen Brief schreiben.
»Mir ist ganz wichtig, die Bedeutung dieser Aufgabe sichtbar zu machen und Ansprechpartnerin zu sein«, so formulierte Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ihr Selbstverständnis. Die frühere Bundesjustizministerin wird ab 2019 für Nordrhein-Westfalen das Amt übernehmen.
Das Treffen in Berlin verstand nicht nur Klein als Vorstufe zu einer kommenden »Bund-Länder-Kommission«, wie sie auch der Bundestag gefordert hatte. Ludwig Spaenle, der Antisemitismusbeauftragte in der Münchner Staatskanzlei, sagte: »Aus bayerischer Sicht und als Berufsföderalist bin ich guter Dinge.«
Ein gegenseitiger Ansporn bei wichtigen Projekten sei möglich, hieß es. Das Wort vom »Wettbewerbsföderalismus« machte die Runde. Schließlich, so Klein, lägen etwa 80 Prozent der Arbeitsgebiete der Beauftragten in der Zuständigkeit der Länder. Noch mehr Projekte konnten die Beauftragten anschieben: Eine Meldepflicht für Schulen, wenn sich dort antisemitische Vorfälle ereignen, soll es bald geben; Baden-Württemberg hat das bereits durchgesetzt, und wie Felix Klein sagte, »nimmt das von Schulleitern viel Druck«. Diese müssten nicht mehr aus vermeintlicher Rücksicht auf den guten Ruf ihrer Schule Fälle zurückhalten.
SCHULEN Aus- und Weiterbildung von Lehrern, gerade was das Erkennen und Bekämpfen von israelbezogenem Antisemitismus angeht, steht auch auf der Agenda. »Viele Lehrer sind nicht in der Lage, damit adäquat umzugehen«, beklagte Felix Klein.
Für 2020/21 gibt es ein ganz großes Projekt: »1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland« sollen ein Jahr lang gefeiert werden. Das organisatorische Vorbild ist das Reformationsjahr, das 2017 im Gedächtnis an Martin Luther stattfand.
2020/21 sollen »1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland« gefeiert werden.
Kooperation wurde auch bei anstehenden Forschungsprojekten vereinbart. Eine Studie zur Altersradikalisierung – warum offenbaren sich gerade ältere Menschen häufiger als Judenhasser? –, die Baden-Württembergs Beauftragter Michael Blume angeregt hat, wird von allen Ländervertretern unterstützt.
Beim ersten Berliner Treffen waren auch Vertreter jüdischer Organisationen anwesend: Daniel Botmann vom Zentralrat der Juden, Aron Schuster für die Zentralwohlfahrtsstelle, Deidre Berger vom American Jewish Committee und Levi Salomon für das Jüdische Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus. Daniel Botmann begründete, warum es wichtig ist, dass sich die Antisemitismusbeauftragten auf Bundes- und Länderebene mit der jüdischen Gemeinschaft abstimmen. Es gehe ja nicht nur um die Bekämpfung des Antisemitismus, sondern auch um die Förderung jüdischen Lebens. Als konkretes Beispiel für eine bessere Teilhabe von Juden am politischen und gesellschaftlichen Geschehen nannte Botmann die Einrichtung einer jüdischen Militärseelsorge: Hier geht es um die Betreuung jüdischer Soldaten und darum, dass nichtjüdische Soldaten über die Arbeit von Militärrabbinern in Kontakt und Austausch mit dem Judentum kommen können.
Ein Beispiel für Wissenslücken der Mehrheitsgesellschaft über Juden hatte Botmann auch zur Hand: »Viele Juden sind arm, das wissen viele nicht.« Botmann erläuterte, dass gerade bei Zuwanderern aus der ehemaligen Sowjetunion große Altersarmut herrscht.
Leutheusser-Schnarrenberger betonte, wie wichtig ihr die Zusammenarbeit mit jüdischen Gemeinden ist. »Ihre Anliegen sind wichtig für meine künftige Arbeit«, sagte sie der Jüdischen Allgemeinen.
ÜBERGRIFFE »Jeder Antisemit ist Antidemokrat«, formulierte Botmann die politische Bedeutung der Arbeit, um die es geht. Er verwies auf die Arbeit von RIAS, der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus, die seit Jahren erfolgreich in Berlin arbeitet und aus der jetzt ein Bundesverband hervorging. RIAS dokumentiert antisemitische Vorfälle, unabhängig davon, ob sie juristisch geahndet werden oder nicht. Opferberatung solle künftig stärkere Beachtung finden, versprach Botmann, also die Frage, wie den Menschen, die Vorfälle erleiden und melden, geholfen werden kann.
Auch Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ist diese Dokumentationsfunktion wichtig: »Mich beschäftigen ebenso die Übergriffe, die nicht bei der Justiz landen, wie Pöbeleien, aggressive verbale Auseinandersetzungen, Hetze und Missachtung.«
Die politische Relevanz, die Antisemitismus auch für staatliches Handeln hat, wurde bei dem ersten Treffen der Landes- und des Bundesbeauftragten in Berlin deutlich. »Antisemitismus ist ein gesamtgesellschaftliches Problem, kein jüdisches Problem«, sagte Felix Klein, und er fügte hinzu, dass die Berufung von Antisemitismusbeauftragten deutlich mache: »Es ist ein politisches Problem.«