Die Sonne scheint, Mr. President!», sagt Bundespräsident Joachim Gauck, als er Reuven Rivlin vor dem Schloss Bellevue begrüßt. Nur wenige dunkle Wolken zeigen sich am Montag am Himmel über Berlin, als das Wachbataillon der Bundeswehr den israelischen Präsidenten mit militärischen Ehren begrüßt.
Rivlin grüßt freundlich, fast leutselig mit: «Schalom! Boker tov!» Bläser spielen die Hatikwa, dann die deutsche Nationalhymne und einen Marsch. Danach schreiten Gauck, Rivlin, seine Frau Nechama (im grau-schwarz karierten Kostüm und mit einem Rollkoffer, den sie wegen ihrer Atemwegserkrankung für ständige Sauerstoffzufuhr benötigt) und Daniela Schadt (im leuchtend blauen Kleid) die Ehrenformation ab.
Eine Gruppe von Schülern des Lessing-Gymnasiums aus Berlin-Wedding und des Jüdischen Gymnasiums Moses Mendelssohn, in den Händen blau-weiße und schwarz-rot-goldene Fähnchen, wird angewiesen: «Ihr wedelt ab sofort mit den Fahnen! Schön wedeln!» Nechama Rivlin und Daniela Schadt bedanken sich im Vorbeilaufen synchron bei den Jugendlichen auf Hebräisch und Deutsch: «Schön, dass ihr gekommen seid!»
Sicherheit In Berlin-Mitte herrscht seit Tagen Ausnahmezustand: Sicherheitsstufe eins plus. Der israelische Präsident gehört neben Barack Obama und dem Papst zu den am meisten gefährdeten Menschen auf der Welt. Gullys rund um die Einrichtungen, die Rivlin besuchen will, wurden versiegelt und mit grünen Kreuzen markiert. Autos wurden abgeschleppt, sogar Fahrräder entfernt. Bei den Sicherheitskontrollen wurde ein Apfel aus dem Rucksack eines Journalisten beschlagnahmt: «Der könnte als Wurfgeschoss dienen», heißt es zur Begründung.
So perfekt schützt Deutschland Reuven Rivlin, genannt Ruby – einst erbitterter Gegner der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Israel und Deutschland. Als Student hatte Rivlin in Tel Aviv an heftigen Protestdemonstrationen der Cherut-Partei gegen Rolf Pauls teilgenommen – den ehemaligen Wehrmachtsoffizier und Militärattaché, den die Bundesrepublik im August 1965 als ersten Botschafter nach Israel geschickt hatte. Damals flogen Tomaten. Doch das ist fast 50 Jahre her. Heute ist Reuven Rivlin 75 Jahre alt und Staatsgast im Schloss Bellevue.
Nachdem sich Gauck und Rivlin samt Partnerinnen und Delegationen ins Schloss Bellevue zurückgezogen haben, warten Journalisten in einem Saal auf die Statements der beiden Präsidenten. Ein israelischer Reporter bringt sein Mitleid für den leidenschaftlichen Fußballfan Rivlin zum Ausdruck: «Der Arme, am Dienstagabend spielt Bayern gegen Barcelona, aber Ruby muss zum Festakt für 50 Jahre deutsch-israelische Beziehungen. Der wäre bestimmt viel lieber im Stadion in München als in der Philharmonie.» Mehr als eine Stunde unterhalten sich Gauck und Rivlin hinter verschlossenen Türen, dann gibt es kurze Statements für die Presse. Gauck wird sieben Minuten reden, Rivlin gut vier Minuten. Fragen sind nicht zugelassen.
Die Gespräche des israelischen Staatsoberhauptes mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und Außenminister Frank-Walter Steinmeier am Dienstag nimmt Gauck am Tag zuvor schon einmal vorweg: «Wir haben uns auch über Segmente der Politik unterhalten, bei denen Deutsche und Israelis noch unterschiedliche Ansichten haben. Das betrifft die Debatte darüber, welches der richtige Umgang mit dem Iran ist», sagt er.
Bedenken Deutschland sehe «immer noch die Verpflichtung, einer Zweistaatenlösung zum Durchbruch zu verhelfen», betont Gauck. «Aber wir hören natürlich auch die intensiven Bedenken aus Israel, und diese Bedenken gewinnen nochmal ein eigenes Gewicht, wenn sie eine unabhängige Persönlichkeit wie Präsident Rivlin vorträgt.» Natürlich weiß Gauck: «Das alles ist natürlich mehr Angelegenheit einer Bundesregierung als die des Präsidenten.» Aber er unterhalte sich «mit der
Regierung und dem Parlament über die Grundlinien der deutschen Außenpolitik», und da werde er mit seinem Gast auch über die Probleme sprechen, die zwischen ihnen zu lösen seien.
Reuven Rivlin fasst sich kürzer als das deutsche Staatsoberhaupt. Bei «meinem Freund Joachim Gauck» bedankt er sich für den «warmen Empfang und die aufrichtige Freundschaft». Die engen und gefestigten Beziehungen zwischen Deutschland und Israel könnten nicht genug geschätzt werden, sagt der einstige Deutschlandkritiker.
Sie könnten aber, das betont Rivlin, in keiner Weise eine «Entschädigung» für die Schoa darstellen. «Heute betrachten wir die Welt um uns herum, und wir schauen erneut mit aufrichtiger Sorge auf den Antisemitismus, der sich erhebt, und auf den erstarkenden Rassismus an verschiedenen Orten in der Welt», sagt Rivlin, der sich in seinem Land engagiert gegen Diskriminierung von Minderheiten einsetzt, auch gegen Kritik von Rechts. «Es ist unsere Verpflichtung, uns gemeinsam – als Israelis, als Deutsche, als Demokraten, als wichtiger Teil der Menschheit – mit Entschlossenheit solchen Übeln entgegenzustellen.»
Zum von Gauck angesprochenen Konflikt äußert sich Rivlin, Gegner der Zweistaatenlösung, nur kurz. «Zwischen Freunden kann es manchmal auch eine Übereinkunft darüber geben, sich nicht einig zu sein», sagte er. «Das gilt besonders, wenn jeder davon überzeugt ist, dass die andere Seite ehrlich ist in ihrem Willen, der ganzen Welt einen echten Frieden zu bringen: einen Frieden, mit dem auch wir die Tragödie beenden werden, die sich zwischen dem jüdischen und dem arabischen Volk in Eretz Israel abspielt.» Dann stellen Gauck und Rivlin die Sonderbriefmarke vor, die in beiden Ländern anlässlich des Jubiläums herausgegeben wurde. und verabschieden sich. Gauck sagt: «Auf Wiedersehen!» Ende des Jahres will der Bundespräsident nach Israel reisen.
Bankett Beim Staatsbankett am Montagabend im Schloss Bellevue zeichnete Rivlin den schwierigen Weg zu den diplomatischen Beziehungen noch einmal nach: Für ihn persönlich sei die Aufnahme «schwer» gewesen, obwohl er den Wert, wie die übrigen Bürger Israels, verstanden habe, sagte er laut vorab verbreitetem Redemanuskript. Doch inzwischen sei echte Freundschaft entstanden, die ihre konkrete Verwirklichung in der Verpflichtung zur Sicherheit Israels finde.
Gauck erklärte laut Redetext, in Israel blicke man mit mit großer Sorge auf antijüdische Aggressionen in Europa: «Auch in Deutschland hat sich im vorigen Jahr bei Demonstrationen gegen die Politik und das militärische Eingreifen Israels in Gaza bösartiger Antisemitismus zu Wort gemeldet. Ganz gleich, aus welchem Ungeist sich dieser Antisemitismus speist: Wir werden ihn in unserem Land nicht dulden.»
Am Dienstag wurde Rivlin im Bundeskanzleramt und im Reichstag begrüßt. Am Mittwoch will Israels Präsident die U-Boot-Werft ThyssenKrupp Marine Systems (TKMS) in Kiel besuchen und Gespräche mit der Landesregierung führen. Die Werft (früher HDW) will noch in diesem Jahr das fünfte von insgesamt sechs deutschen U-Booten an Israel ausliefern. Israel hat bei ThyssenKrupp Marine Systems außerdem den Bau von vier Korvetten in Auftrag gegeben.