Das Motto der Feldjäger »Suum cuique« prangt in Deutsch (»Jedem das Seine«) über dem Lagertor des KZ Buchenwald. Der Zentralrat der Juden unterstützt die Forderung, die Aufschrift von den Uniformen der Feldjäger zu entfernen. Was meinen ehemalige und aktive Bundeswehrangehörige?
Michael Fürst,
Leutnant der Reserve
Es gibt heute keinen Grund mehr für Juden, nicht zur Bundeswehr zu gehen und von Juden in Deutschland dafür belächelt oder beschimpft zu werden. Der Ukraine-Krieg zeigt es nur zu gut. Auch nicht, wenn die Polizei der Bundeswehr, die Feldjäger, einen mehrere Tausend Jahre alten lateinischen Spruch an ihrer Kopfbedeckung, am Arm oder in ihrem Verbandsabzeichen trägt, der von den Nazis ins Deutsche übersetzt zynisch pervertiert wurde. Aber das ist genau der Punkt! Der Feldjäger trägt den Satz »Suum cuique« mit Stolz, und er darf darauf auch stolz sein. Er trägt nicht die pervertierte Übersetzung der Nazis, sondern verinnerlicht mit Platons Aussage den Grundsatz der allgemeinen Gerechtigkeit, die der Militärpolizist jedem entgegenbringen muss und wofür er intensiv geschult wurde. Machen wir die 3000 deutschen Militärpolizistinnen und -polizisten, die an vielen Orten ihrer Einsätze ihr Leben für unseren demokratischen Staat geben, nicht zu Neonazis. Theodor Heuss, unser erster Bundespräsident, über jeden Verdacht erhaben, hat bei Gründung der Bundeswehr persönlich bei einigen Waffengattungen darauf gedrungen, Verbandsabzeichen zu ändern, aber nicht bei den Feldjägern. Aus gutem Grund!
Andrew Steiman,
Rabbiner
US-Militärpolizei (MP) und Feldjäger der Bundeswehr habe ich als Übersetzer kennengelernt. Als bei einer Begegnung einmal ein MP wissen wollte, was da bei den deutschen Kollegen auf dem Abzeichen stand, erklärte einer der anwesenden Feldjäger hämisch: Das ist ein KZ-Spruch, allerdings auf Latein. Die Amerikaner wollten wissen: »Why Latin?« Die Antwort, die ich übersetzen musste, werde ich nie vergessen: »Weil wir das nicht auf Deutsch sagen dürfen.« Die Feldjäger lachten. Den MPs war das alles eher peinlich. Als sie im Anschluss unter sich waren, entspann sich eine Diskussion. Einer meinte: Wenn die Deutschen das so sehen, sind sie entweder Nazis oder infantil. Ein Offizier kommentierte: Mit dem lateinischen Spruch haben sie’s bequem – man kann dann auch relativieren mit dem Hinweis, dass die Römer auch nicht zimperlich waren. Ein anderer: Mit der Einstellung wollen sie sich Respekt verschaffen. Darauf der Offizier: nicht Respekt, eher Angst. Der Vorfall ereignete sich in den 80er-Jahren; bereits damals gab es offensichtlich eine fragwürdige Interpretation des Spruchs. Inzwischen ist daraus möglicherweise noch festere Tradition geworden. Das ist der springende Punkt – nicht nur wegen der Nazi-Tradition, sondern der der Bundeswehr. Über eine nötige Korrektur hinaus schreit das nach Aufarbeitung einer Truppenkultur in Schieflage. Nur wenn beides zusammen vorgenommen wird, kann sich eine Tradition entwickeln, die einer Parlamentsarmee würdig ist und in der Bevölkerung Anerkennung verdient. Diese Anerkennung schließlich ist als Faktor der Einsatzbereitschaft der Truppe mindestens so wichtig wie ein milliardenschweres Beschaffungsprogramm.
Rainer L. Hoffmann,
Oberstleutnant der Reserve
»Suum cuique«: In 40 Jahren Bundeswehr habe ich es nicht zur Kenntnis genommen. Gestört hat es also nicht. Gestört haben andere Dinge, wie der fahrlässige Umgang mit Geschichte. Da ist das Märchen von der sauberen Wehrmacht. Da sind und waren die Schwierigkeiten mit der Namensgebung von Kasernen, Geschwadern der Luftwaffe und Ähnliches. Wehrmacht und Nationale Volksarmee (NVA) sind nicht traditionswürdig. Das hinderte die Bundeswehr nicht daran, in den 90er-Jahren das Stillgestanden der Wehrmacht mit der ausgestreckten Hand an der Hosennaht wiedereinzuführen. Bis dahin war es die leicht geballte Faust im bewussten Unterschied zur Wehrmacht. Einen Grund dafür gab es nicht. Ich erinnere mich, wie in den Museen und Traditionsräumen der Bundeswehr die Hakenkreuze der Wehrmacht überklebt wurden, bevor sie verschwanden. Ein souveräner Umgang mit Geschichte sieht anders aus. Zurück zum Motto der Feldjäger: Was will man erreichen, indem man es abschafft? Im Gegensatz zur »Judensau« an christlichen Kirchen ist es nicht antijudaistisch oder antisemitisch. Man kann das abschaffen, wenn es der politische Wille ist, besser wäre es, das Motto zur Grundlage einer Weiterbildung zu machen, sich mit der Geschichte der Wehrmacht zu befassen.
Claudia B. Götz,
Oberstabsarzt der Reserve
Das Motto der Feldjäger »Suum cuique« hat eine ältere, tiefer den Rechten des Einzelnen verbundene und ehrenwertere Bedeutung. Es ist Ausdruck der Freiheitsrechte und als solches das Motto nicht nur der 1924 gegründeten Berliner Freimaurerloge »Johannisloge Zum Schwarzen Adler«, sondern auch diverser juristischer Fakultäten. Die Tatsache, dass die Nationalsozialisten dieses Grundprinzip der Gerechtigkeit missbraucht haben, ändert an der Intention des Prinzips nichts. »Die Tradition der Bundeswehr ist der Kern ihrer Erinnerungskultur. Sie ist die bewusste Auseinandersetzung mit der Vergangenheit in gewachsenen Ausdrucksformen.« So steht es im Traditionserlass, der 2018 aktualisiert wurde, und so wird es in der Bundeswehr gelebt. Ich bin sicher, dass die Feldjäger sich im Rahmen der politischen Bildung mit der Geschichte von »Suum cuique« sehr eingehend befassen. Die Entfernung des Mottos von den Baretten und Verbandsabzeichen wäre eine Kapitulation vor den Nationalsozialisten und aus meiner Sicht von Nachteil für die Bundeswehr. Die tiefgreifendste Tradition der Bundeswehr ist das Konzept der inneren Führung mit dem Leitbild des Staatsbürgers in Uniform. Diese Tradition wird gelebt und hat dazu geführt, dass die Mehrheit der Soldaten den Werten und Normen des Grundgesetzes in besonderer Weise verpflichtet ist. Auch »Suum cuique« gehört in diese Tradition.
Anne Ryan,
Major in der Feldjägertruppe
Der Feldjäger-Stern als Abzeichen am Barett mit der Aufschrift hat eine jahrhundertelange Tradition. Er geht auf den Ordensstern des Schwarzen Adlerordens zurück, der 1701 vom ersten preußischen König Friedrich I. gegründet wurde. Auf diese lange Tradition ist die Feldjägertruppe sehr stolz. Als Feldjägeroffizier habe ich erlebt, wie das Feldjägerkorps tagtäglich für die freiheitlich demokratische Grundordnung einsteht und sich als Repräsentant der geltenden Rechte versteht und die Einhaltung dieser fordert. In den Feldjägereinheiten, in denen ich dienen durfte, lebte jeder einzelne Soldat die innere Führung und das damit verbundene Verständnis des Staatsbürgers in Uniform. Die Aufrechterhaltung der Vorbildfunktion der Feldjäger gegenüber der Truppe ist ein Schwerpunkt der Vorgesetzten. In meiner gesamten Dienstzeit habe ich keinen Feldjäger erlebt, der sich dem Nationalsozialismus verbunden fühlt. Der Stolz der Truppe gründet auf der in der preußischen Militärgeschichte wurzelnden Tradition des Korps. Als Jüdin und Stabsoffizier der Feldjägertruppe bin ich stolz auf meine Truppengattung und kann bestätigen, dass Traditionslinien aus der Zeit des Nationalsozialismus in unserer Traditionspflege keinen Platz haben. Aufgrund der Verfälschung des Spruchs durch die Nationalsozialisten ist ein Verweis darauf jedoch wichtig, um hervorzuheben und aufzuklären, wofür »Suum cuique« wirklich steht.
Johannes Baranski,
Stabsgefreiter
Als Angehöriger eines Traditionsgeschwaders der Luftwaffe habe ich mich schon mehrfach mit unserem Namen und der Person dahinter auseinandergesetzt, manchmal aufgrund öffentlicher Debatten über eine Abschaffung. Bisher immer mit der Erkenntnis, dass dieser Name und die Tradition bestehen bleiben sollte. Im Fall der Feldjäger und des Mottos »Suum cuique« bin ich zu einem anderen Entschluss gekommen. Der Hohn und Spott, mit welchem dieser Ausdruck als Inschrift des Tors am KZ Buchenwald verwendet wurde, überschatten eine positive Konnotation und Intention. Der Ausdruck ist verbrannt. Auch wenn die Feldjäger in ihrer heutigen Form nicht in der Tradition der Wehrmacht – so wie es der Traditionserlass von 2017 verlangt – stehen, kann »Suum cuique« nicht von dem Leid und den Massenmorden getrennt werden. Wichtig ist aber, an eine mögliche Abschaffung anzuschließen. Sollte sich das Ministerium dazu entscheiden, die Feldjäger ohne Leitspruch dastehen zu lassen, wäre ich zutiefst enttäuscht. Traditionen begründen im Militär ein wichtiges Selbstverständnis und vermitteln Werte, die im Falle eines Falles mit dem höchsten Gut verteidigt werden. Sie sind außerordentlich wichtig. Es muss klar sein, dass nicht die Kameradinnen und Kameraden für diese Debatte und das Problem verantwortlich sind. Nimmt man ihnen nun diesen Leitspruch ohne jeglichen Ersatz, würde es diesen Eindruck erwecken und ebendiese grundlos bestrafen. Die Feldjägertruppe kann auf eine Historie bis in das 17. Jahrhundert hinein zurückblicken. Hier lässt sich ein neues Selbstverständnis und Werte schaffendes Motto finden.
Richard Ernst,
Oberfeldwebel a.D.
Die Feldjägertruppe beruft sich auf die Tradition des Schwarzen Adlerordens, der in diesem Zusammenhang dem Sinne nach wie »Jedem nach seinem Verdienst« verstanden werden soll. Will das auch der Soldat so verstehen, oder kommt da dem ein oder anderen nicht vielmehr »Jedem das Seine« in den Sinn? Will man nach allem, was man heute weiß und was in der Vergangenheit »übersehen, vergessen oder worüber geschwiegen« wurde, bei der Überarbeitung des Traditionsverständnisses der Bundeswehr damit »aufräumen«? Einen Wahlspruch, der herausfordert und zum Nachdenken anregt (und aufregt) nach Jahrzehnten entsorgen? Diskussionen zum Thema »Minhagim« kommen mir da in den Sinn. Ähnlich wie bei Themen jüdischer Traditionen ist auch hier die Frage, ob »Alte Zöpfe« infrage gestellt werden (dürfen) oder ein so hohes Gut darstellen, dass eine Beibehaltung des Zitats untrennbar mit dem Traditionsverständnis der Feldjäger der Bundeswehr besteht. Wie wäre es, den Wahlspruch beizubehalten, aber jedem Soldaten und jeder Soldatin, die zu den Feldjägern gehen, zu vermitteln, welcher Anspruch und welche Erwartung damit verbunden sind, diesen Wahlspruch auf der Kopfbedeckung zu tragen? Aufräumen ist immer sinnvoll und gut, dabei sollte jedoch nicht mit der »Kosmetik« begonnen werden, sondern beispielsweise mit dem in Einzelfällen falsch verstandenen Korpsgeist, rechten und demokratiefeindlichen Zirkeln.
Ilia Choukhlov,
Reservist
Ob der Spruch bei den Feldjägern bleiben soll oder nicht, sollten die entscheiden, die es auch betrifft. Eine Diskussion, wie sie jetzt geführt wird, ist aus meiner Sicht der Bundeswehr nicht würdig. Weder wurden die Feldjäger (alle Dienstgrade) noch die jüdischen Soldaten der Bundeswehr gefragt, wie sie mit dem Spruch umgehen. Es wird immer propagiert »reden miteinander«, aber in der Praxis ist es immer noch »reden übereinander«. Wieso muss der lateinische Spruch abgeschafft werden? In der Tat, die Nazi-Herrschaft hat ihn missbraucht, aber wenn man alles aus dem täglichen Leben entfernen würde, das einmal von den Nazis missbraucht wurde, dann dürften auch keine Juden mehr in Nürnberg, Dachau, Bergen und weiteren Orten in Deutschland leben. Weiterhin ist die Nutzung dieses Spruchs im allgemeinen Gebrauch nicht vergleichbar mit »Arbeit macht frei«. Wenn wir den Gebrauch bei den Feldjägern abschaffen, dann sollten ebenfalls alle Gerichtsgebäude überprüft werden, denn auch dort steht der Spruch noch auf vielen Inschriften. Allerdings führt eine solche Diskussion zu Irritationen und zur Herabwürdigung unserer Feldjäger, die jeden Tag ihren Dienst tun. Ob bei Absicherung der Transportkolonnen der NATO-Streitkräfte, ob beim Personenschutz für den Generalinspekteur der Bundeswehr oder bei der Wochenend-Streife am Bahnhof. Diese Soldaten verdienen unseren Respekt – wie alle anderen auch! Deshalb: Redet mit ihnen und nicht über sie!