Herr Dainow, vor einem Jahr berichteten Sie, das Attentat von Hanau habe die Gemeindemitglieder schockiert und bedrückt. Wie ist die Stimmung in der Gemeinde heute?
Jetzt zum Jahrestag wird es noch einmal präsenter. Das merkt man auch im Stimmungsbild. Wegen der Pandemie geht die Bewältigung nur relativ schleppend voran. Der Anschlag war am 19. Februar. Wenige Wochen später haben wir die Gemeinde geschlossen. Bis Anfang Juni hatten wir keine Präsenzveranstaltungen. Der Anschlag war immer wieder Thema in unseren Online-Treffen. Aber es fehlt der persönliche Kontakt – gerade bei solchen Schockmomenten, wie das hier bei vielen vor der Haustür passiert ist. Da fehlt die persönliche Nähe.
Wie gedenkt Hanau am 19. Februar, dem ersten Jahrestag des Anschlags?
Im Congress-Park wird es eine kleine Veranstaltung mit 50 Personen geben. Das Rathaus hat die Prämisse herausgegeben, dass es ein städteweiter Gedenktag mit vielen kleinen, lokalen Veranstaltungen werden soll – ob analog oder digital.
Wie geht die Stadt insgesamt mit den Geschehnissen um?
Man versucht, wo es nur möglich ist, das Thema Alltagsrassismus und den Anschlag zum Thema zu machen. Aber es fehlt das große Ganze. Das letzte große Gedenktreffen fand sechs Monate nach dem Anschlag auf dem Freiheitsplatz in Hanau statt. Es waren nicht so viele Menschen dort, wie es hätten sein können oder sein wollen.
Wie gedenkt die Gemeinde?
Zum ersten Jahrestag veranstalten wir und die Wallonisch-Niederländische Kirche gemeinsam mit der katholischen Stadtpfarrei eine Gedenkstunde. Sie wird unter dem Titel »Zeitansage – das Erbe verpflichtet« vor dem Denkmal für Graf Philipp Ludwig II. stattfinden. Um 1600 ermöglichte er den Wallonen und der jüdischen Gemeinde die Ansiedlung in Hanau und sicherte ihnen freie Religionsausübung und Sicherheit zu.
Wofür steht dieser historische Bezug?
Wir wollen auf Toleranz hinweisen – also darauf, dass ein Leben miteinander möglich ist und möglich sein muss. Wir wollen in Erinnerung rufen, dass ein gemeinsames friedliches Zusammenleben die Normalität sein muss.
Wie kann der künftige Beitrag aussehen?
Als jüdische Gemeinde haben wir leider Erfahrung damit, wie es ist, Alltagsantisemitismus zu erleben und Gottesdienste unter Polizeischutz zu führen. Wir sind es gewohnt und haben eine gewisse Expertise im Umgang damit. In der Stadtgesellschaft gibt es das Interesse, den »Anderen« kennenzulernen. Trotz der Pandemie erreichen uns immer mehr Anfragen von Schulen für Synagogenführungen. Wir möchten digitale Synagogenführungen anbieten. So könnten wir einen Beitrag dazu leisten, das Judentum näher kennenzulernen.
Mit dem Geschäftsführer der Jüdischen Gemeinde Hanau sprach Eugen El.