Aus. Schluss. Vorbei. Nichts geht mehr im Nahen Osten. Zumindest nichts in Richtung Frieden zwischen Palästinensern und Israelis. Optimisten würden vermutlich 2010 unter »Stillstand allerorten« abhaken. Realisten sprächen wohl von einem Rückschritt mit Ankündigung. Und die Pessimisten? Für sie ist es im besten Fall ein verlorenes Jahr, das wieder einmal offenbart hat: Den oft herbeigeredeten, herbeigesehnten Friedensprozess – es gibt ihn nicht. Das »Fenster der Gelegenheiten«, ein von Bundesaußenminister Guido Westerwelle gern bemühtes Bild, scheint derzeit fest verrammelt.
Wie um dieser Stimmung noch eine weitere politische Grundierung zu geben, hat Washington nun erklärt, man rücke im Streit mit Jerusalem von der Forderung nach einem sofortigen Bau-Moratorium ab. Der Widerstand der Regierung um Benjamin Netanjahu zwinge die USA, nach neuen Wegen für eine Aufnahme direkter Verhandlungen zwischen den beiden Kontra- henten zu suchen. Mit anderen Worten: Die Supermacht ist ratlos, ihre Autorität dahin. Womöglich hat sie sogar resigniert.
Das wäre den Vereinigten Staaten kaum zu verdenken. Die Obama-Administration hat sich in den vergangenen zwei Jahren manch blutige Nase geholt. Sie musste eingestehen, dass im Nahen Osten Visionen im Nu verpuffen und Unnachgiebigkeit Trumpf bleibt. Das mag nach innen Stärke demonstrieren und Macht sichern. Die Außenansicht jedoch ist eine völlig andere.
Maßnahmen Gerade Jerusalem gilt in weiten Teilen der Welt als halsstarrig. Denn in der Regel wird vom jüdischen Staat erwartet und gefordert, sich zuerst zu bewegen, Kompromissbereitschaft zu demonstrieren. Vor wenigen Tagen erst polterten ehemalige Spit- zenpolitiker wie Richard von Weizsäcker, Helmut Schmidt, Felipe Gonzalez und Javier Solana, die EU müsse Israel mit konkreten Maßnahmen drohen, falls das Land im Siedlungsstreit nicht einlenke. Als ob die Palästinenser mit ihrem Westjordanland-Präsidenten Mahmud Abbas in der Vergangenheit den Friedensengel gegeben hätten. Von der Hamas im Gazastreifen ganz zu schweigen.
Dennoch bleibt für Jerusalem das größte Problem, wie es von der Weltöffentlichkeit wahrgenommen wird. Die Bunkermentalität, wonach Israel sich nur auf sich selbst verlassen könne, hilft da nicht weiter. So ist Netanjahus diplomatischer Erfolg im Ringen um die Siedlungen ein womöglich ziemlich teuer erkaufter.
Zum einen verprellt der Premier damit die Verbündeten. Denn die tragen den Baustopp – warum auch immer – wie ein verehrungswürdiges goldenes Kalb vor sich her. Obwohl sie im Grunde wissen sollten, dass die Lösung dieses Problems noch längst nicht den Weg zum Frieden ebnet.
Zum anderen sind die Bauaktivitäten für Israels erklärte und heimliche Gegner eine willkommene Steilvorlage. Seht her, Jerusalem hat einfach kein Interesse an Frieden, rufen sie. Und das wird für Israel erhebliche Konsequenzen haben: Immer mehr Regierungen dürften kommendes Jahr dem Beispiel Brasiliens und Argentiniens folgen und Palästina als souveränen Staat in den Grenzen von 1967 anerkennen. Zumal, wenn ihn Ministerpräsident Salam Fayad wie geplant 2011 einseitig ausrufen wird.
Druck Dass dies ohne Israels Zustimmung einer Augenwischerei gleichkommt, steht auf einem ganz anderen Blatt. Nur: Das ändert wenig an der Normativität des Faktischen. Im Gegenteil. Der Druck auf Jerusalem wird sich zusehends erhöhen, zumindest die Lebensfähigkeit eines Palästinenserstaates zu gewährleisten. Selbst die USA werden darauf drängen. Und Europa, die Bundesrepublik eingeschlossen, sowieso.
Dabei übersieht der Großteil der Staatengemeinschaft geflissentlich, dass von Abbas bislang so gut wie nichts Substanzielles gekommen ist, um Jerusalem seine berechtigten Ängste zu nehmen. Der vom Westen hofierte Palästinenserpräsident muss endlich ohne Wenn und Aber unter Beweis stellen, dass er Israel als einen jüdischen Staat (in welchen Grenzen auch immer) akzeptiert. Wird sich Abbas dazu durchringen? Bringt der Fatah-Mann, der mit Widerstand seiner Gefolgsleute rechnen muss, diesen Mut auf? Oder sagt er sich: Lassen wir doch alles beim Alten. So schlecht geht es uns ja gar nicht. Und wenn wir dann auch noch anerkannt werden ...
Überhaupt drängt sich der Eindruck auf, dass sich Israelis und Palästinenser im Westjordanland mit dem Status quo längst arrangiert haben. Gäbe es nicht den Rest der Welt, diese pathologische Aufmerksamkeit für die Krisenregion, vielleicht wäre man bereits bei einem gedeihlichen Nebeneinander angelangt.
Und was ist mit der vielbeschworenen Zwei-Staaten-Lösung? Sie wird der Region keinen dauerhaften Frieden bringen. Weil sie einen entscheidenden Unruhefaktor ignoriert: die Hamas in Gaza. Solange die Islamisten dort das Sagen haben, ist Störfeuer programmiert.
Denn weiterhin gelten die Hamas-Charta und die Vorgaben der Mullahs im Iran: Das »zionistische Gebilde« muss verschwinden. Wie soll da Ruhe einkehren und Israel sich zumindest sicher wähnen? Ihr lieben Friedensgläubi- gen, willkommen in der wahnwitzigen Gegenwart des Nahen Ostens.