Es ist völlig offen.» Diesen Satz hört man sehr oft, wenn man sich im Bundestag bei Befürwortern und Gegnern des sogenannten Beschneidungsgesetzes umhört. Der Regierungsentwurf kommt vermutlich in der Sitzungswoche, die am 19. November beginnt, ins Parlament: Er sieht vor, dass die religiöse Beschneidung von Jungen, auch wenn sie kein Arzt, sondern etwa ein Mohel durchführt, bis zum Alter von sechs Monaten erlaubt sein soll.
Die meisten Fraktionen werden ihre Abgeordneten vom Fraktionszwang freistellen. Lediglich bei der CDU/CSU ist das bislang nicht vorgesehen. Es habe zwar intern Diskussionen gegeben, aber die hätten sich eher auf das juristische Prozedere bezogen, heißt es aus den Reihen der Union.
gegenposition Bei der zweitgrößten Fraktion, der SPD, ist dies anders. Die Kinderbeauftragte der Sozialdemokraten im Bundestag, Marlene Rupprecht, will, anders als die Mehrheit ihrer Fraktion, dem Gesetz nicht zustimmen. Es sei «erschreckend, dass das Recht der Kinder auf körperliche Unversehrtheit» nur eine «untergeordnete Rolle spielt», heißt es in einem Papier, das Rupprecht zusammen mit den kinderpolitischen Sprecherinnen der Linken und der Grünen, Diana Golze und Katja Dörner, vorgelegt hat. Rupprecht sagte, sie gehe gleichwohl davon aus, dass das Gesetz im Bundestag eine Mehrheit finden werde – «vielleicht noch mit ein paar Änderungsanträgen, die durchkommen».
Ähnlich wie in der SPD verhält es sich bei den zwei anderen Oppositionsfraktionen, Linke und Grüne. Bei der Linkspartei etwa hat eine Gruppe, der unter anderem die Abgeordnete Luc Jochimsen, die stellvertretende Parteivorsitzende Caren Lay sowie die als Trotzkistin geltende Christine Buchholz angehört, ein Papier vorgelegt, das sich für den Entwurf ausspricht. «Die Linke ist eine nichtreligiöse, aber keine antireligiöse Partei. Linke müssen nicht ›für‹ Beschneidung sein», heißt es da. «Wir plädieren aber dafür, dass sich Die Linke gegen jegliche Form der Kriminalisierung von Beschneidung von Jungen einsetzt.»
kriminalisierung Die Gegenposition in der Linken wird von Raju Sharma vertreten: Der religionspolitische Sprecher der Fraktion glaubt, dass durch das Beschneidungsgesetz «das Recht des demokratischen Rechtsstaats religiösen Geboten untergeordnet» werde. Dass der Bundestag nicht, wie ursprünglich avisiert, Anfang November das Gesetz berät, sondern es wohl um zwei Wochen zurückstellt, bedeutet eine Rücksichtnahme auf die Grünen. Mitte November steht deren Parteitag an. Dort liegen allein vier Anträge vor, die die Beschneidung ohne medizinische Indikation ablehnen. Nur die von Sergey Lagodinsky, der auch Repräsentant der Jüdischen Gemeinde zu Berlin ist, formulierte Vorlage wendet sich «gegen eine Kriminalisierung der männlichen Beschneidung aus religiösen Gründen».
Die größten Erfolgsaussichten auf dem Parteitag hat aber ein Antrag des parlamentarischen Geschäftsführers der Grünen, Volker Beck, mit dem Titel: «Die Beschneidungsdebatte mit gegenseitigem Respekt führen». Ihm folgt nicht nur die Parteispitze, sondern auch die Beschneidungsgegnerin Katja Dörner. Der Antrag formuliert keine Position der Partei, sondern attestiert «beiden Seiten ehrenwerte und respektable Argumente». Gleichzeitig werden «antisemitische oder islamfeindliche Noten», die sich in der Debatte finden, verurteilt. Während Beck für das Recht auf Beschneidung kämpft, will der integrationspolitische Sprecher Memet Kilic dagegen votieren. «Fifty-fifty» ist das Verhältnis in der Fraktion, schätzen Insider.
Liberale Ob die FDP, die Partei von Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, die den Entwurf ausgearbeitet hat, geschlossen für das Gesetz stimmen wird, ist noch nicht sicher. Die Jugendorganisation der Partei hat sich dagegen ausgesprochen. Der familienpolitische Sprecher Stephan Thomae erklärt jedoch, dass der Entwurf eine «große Chance» hat, «eine breite Mehrheit über die Fraktionsgrenzen hinweg zu erzielen». Sein Parteikollege Max Stadler, parlamentarischer Staatssekretär im Justizministerium, sagte der Jüdischen Allgemeinen, er sei «zuversichtlich», dass es bei der ersten Lesung im November «eine breite Mehrheit geben wird».
Was die Beschneidungsgegner unternehmen wollen, falls der Entwurf tatsächlich Gesetz wird, ist noch offen. Etliche Politiker, auch aus den Reihen der Koalition, gehen davon aus, dass das Gesetz dann vor das Bundesverfassungsgericht ginge.