Er ist blau-orange, hat ungefähr die Größe einer Versicherungskarte und kann Leben retten – der Organspendeausweis. Wenn es nach den Landesgesundheitsministern geht, soll mit der vor drei Wochen beschlossenen sogenannten Entscheidungslösung »jeder wenigstens einmal im Leben bewusst mit der Frage konfrontiert werden, ob er oder sie zur Organspende bereit« sei. Dies kann zum Beispiel beim Beantragen eines neuen Personalausweises geschehen. Durch diese Regelung soll die Bereitschaft zur Organspende in Deutschland erhöht werden.
Politik Rund 12.000 Menschen warten laut der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) auf Niere, Dünndarm oder Lunge. »Jeder sollte sich fragen, was passiert, wenn man auf eine Spende angewiesen ist«, sagt Jonah Sievers. Der Landesrabbiner in Niedersachsen, hat sich nach eigenen Angaben lange und intensiv mit dem Thema Organspende auseinandergesetzt und sich für einen Ausweis entschieden. Sievers versteht, dass es auch Vorbehalte in der Bevölkerung gibt, aber die, sagt der Medizinische Vorstand der DSO, Günter Kirste, seien gar nicht das grundsätzliche Problem.
Das läge eher in der »Umsetzung und konsequenten Anwendung der Paragrafen und in der Frequenz der Krankenhausmeldungen«. Denn die Hospitäler sind laut Transplantationsgesetz, das 1997 verabschiedet wurde, verpflichtet, einen potenziellen Organspender zu melden. »Doch das tun sie nicht immer«, sagte Kirste der Jüdischen Allgemeinen. Für ihn steht fest: »Die Politik hat das Thema zu lange vernachlässigt. Erst seit es eine EU-Direktive gibt, scheint die Dringlichkeit angekommen zu sein.«
Halacha Roman Skoblo, Laboratoriumsmediziner und Vorsitzender des Landesverbands Jüdischer Ärzte und Psychologen in Berlin, begrüßt generell eine Verbesserung der Organspendesituation. Das Thema, das Ende der 80er-Jahre aus jüdischer Sicht eher noch ein Tabu war, habe in den vergangenen Jahren eine Öffnung erfahren, sagt Skoblo. Die Frage, wann der Mensch tot ist, sei allerdings zentral und müsse »zuverlässig geklärt sein«. »Nach der Halacha gibt es sehr viel Hinweise, wann der Tod eintritt. Der Katalog umfasst zweistellige Kriterien«, betont Skoblo.
In der Medizin gilt der Hirntod, bei dem laut DSO die Gesamtfunktionen von Großhirn, Kleinhirn und Hirnstamm unumkehrbar ausfallen, als Zeitpunkt des Sterbens. »Zahlreiche bedeutende rabbinische Entscheidungsträger lehnen die Feststellung des Hirntods als halachische Todesdefinition ab«, sagt der Schweizer Arzt Yves Nordmann. Denn bei einem Hirntoten schlage das Herz noch, und andere vitale Körperfunktionen seien noch vorhanden.
»Heute entscheidet man doch eher über eine Organspende, wenn der Mensch hirntot ist«, sagt der orthodoxe Dortmunder Gemeinderabbiner Avichai Apel, der sich mit dem Thema auch öffentlich auseinandersetzt: »Ich referiere oft vor Ärzten in Krankenhäusern darüber.«
Trotzdem empfiehlt Apel, einen Rabbiner zurate zu ziehen, bevor man sich Gedanken über eine Spende macht, die auch er als Mizwa sieht.
Auf den israelischen Organspendeausweisen gibt es dafür einen besondere Hinweis. Es heißt dort: »unter der Bedingung, dass ein Geistlicher, der von meiner Familie ausgesucht wurde, die Spende genehmigt«. Im deutschen Dokument kann man eine Person eintragen lassen, die über »ja oder nein« entscheidet. Im Verlauf des Beratungsprozesses könne man aber jederzeit jemanden hinzuziehen.
Ärzte Der Krankenhausalltag sehe allerdings anders aus, kritisiert Günter Kirste von der DSO: Die Intensivärzte seien überfordert und hätten nicht die Zeit für das fast zweistündige Gespräch. Die DSO-Koordinatoren, die dafür bereit stehen, würden nur in 20 Prozent der Fälle hinzugezogen. Es sei die größte Mizwa, Leben zu retten, sagt Jonah Sievers. Diese Auffassung vertritt auch das israelische Transplantations- und Organspendezentrum ADI, das auch die Spendenausweise ausstellt. Orthodoxe Juden können sich für ihre »Donor Card« bei der Halachic Organ Donor Society (HODS) registrieren lassen.
Die Institution, auf deren Homepage auch der Frankfurter Rabbiner Menachem Halevi Klein als Organspendeausweisträger gelistet ist, hat die Absicht, Juden zu ermutigen, Organe zu spenden – auch an Nichtjuden. Doch auch bei HODS steht die Frage nach dem genauen Sterbezeitpunkt im Mittelpunkt: »Die meisten Rabbiner sehen die Organspende als eine religiöse Pflicht. Einige akzeptieren den Hirntod jedoch nicht als Tod und sind erst bereit zu spenden, wenn das Herz aufgehört hat zu schlagen«, sagt Robert Berman, Gründer von HODS.
Das Judentum ist Organspenden gegenüber grundsätzlich positiv eingestellt, betont Yves Nordmann. Für die Mehrheit der Rabbiner sei sie ein »Akt der Nächstenliebe auf höchstem Niveau«. Allerdings gebe es auch genügend andere Wege, Leben zu retten, ohne gleich an den Tod zu denken, sagt Jonah Sievers: »Menschen können sich in die Knochenmarkspender-Liste eintragen lassen.«