Für Andreas Michaelis ist Israel alles andere als Neuland. Denn der neue deutsche Botschafter, der in der vergangenen Woche sein Amt antrat, zog schon 1992 als politischer Referent mit seiner Familie nach Tel Aviv, wo man, wie er findet, »besser essen kann als in Berlin«.
Seine Tochter, die jüngste von insgesamt drei Kindern, kam hier zur Welt. Bald wird sie ihren Schulabschluss machen, was Grund dafür ist, dass Michaelis’ Ehefrau Heike erst ab dem nächsten Jahr eine Auszeit als Gymnasiallehrerin nehmen will, um ihrem Mann nach Israel zu folgen. Dann erst werden auch die Bücher kommen, die der studierte Philosoph schon sehr vermisst.
Kontakt Der erste Einsatz in Israel war mit der Vielschichtigkeit und der politischen Bedeutung »wie ein Initiationserlebnis« für ihn. Unzählige Male zog es Michaelis danach erst als Sprecher des früheren Außenministers Joschka Fischer wieder in die Region und, im Anschluß an seinen Posten als Botschafter in Singapur, in der Funktion als Beauftragter des Auswärtigen Amts für Nah- und Mittelostpolitik. »Wir können uns wahrhaftig nicht über einen Mangel an persönlichen Kontakten in Israel beschweren«, sagt der gebürtige Hannoveraner, der die ersten Tage an seinem neuen Einsatzort damit zubrachte, alte Bekannte zu treffen.
Das Büro im 19. Stockwerk der Tel Aviver Daniel-Frisch-Straße war sein erklärtes Ziel. Doch auf den Posten des deutschen Botschafters hinzuarbeiten, könne man nicht, sagt der 52-Jährige, sondern »das passt irgendwann, es passiert irgendwann«. Bei Michaelis »passte es«.
Deutschlands neuer Chefdiplomat in Tel Aviv ist jünger, als es seine Vorgänger bei Amtsantritt waren. Seine Eltern haben Nazideutschland als Kinder und Jugendliche erlebt. Für Michaelis geht es »nicht um individuelle, persönliche Schuld, sondern um die kollektive Verantwortung für dieses Menschheitsverbrechen«, aus der sich wiederum »die individuelle Pflicht, als Deutsche für Israel einzutreten, ergibt«. Entscheidend sei der richtige, »der offene Umgang mit den Fragen«.
Verantwortung Auf besondere Weise bewegend war für ihn die Übergabe des Beglaubigungsschreibens an Staatspräsident Schimon Peres vergangene Woche in Jerusalem. »Es ist beinahe wie eine Verwandlung im Amt, denn es wird einem klar, wofür man steht in diesem Moment und welche Verantwortung man trägt«. In das Gästebuch des Präsidenten trug er sich mit den Worten ein: »Erinnerung und Freundschaft in die Zukunft tragen«. Deutschland werde seinen Einfluss nutzen, um sich für Stabilität im Nahen Osten einzusetzen, versprach er. Die Sicherheit Israels gehöre zur deutschen Staatsräson.
Der Diplomat folgte einst ganz anderen Pfaden, hat dann aber, wie er sagt, »nochmal die Kurve bekommen«. Nicht mehr als ein Jahr hätte ihm gefehlt zum Dr. phil. an der Oxford University, wo er mithilfe eines Stipendiums Kant und Leibniz erforschte. Die Liebe zur Philosophie packte ihn schon als 15-Jährigen. Mit 30 Jahren trat er bereits auf internationalen Kongressen auf und hatte eine Publikationsliste vorzuweisen, die er selbst als »für einen Studenten nicht schlecht« bezeichnet.
Der sich abzeichnenden akademischen Karriere verschaffte das Auswärtige Amt ein Ende. Jetzt oder nie, hieß es damals. Michaelis entschloss sich für »jetzt« und hat es bis heute nicht bereut. Zum Auswärtigen Amt zu gehen, sei »eine der wenigen bedeutenden Entscheidungen in meinem Leben, die ich völlig richtig getroffen habe«. Die »vita contemplativa« hätte er auf die Dauer nicht ausgehalten. »Ich brauche auch die ›vita activa‹.«
An Möglichkeiten zur aktiven Diplomatie wird es Michaelis in den vier Jahren seiner Amtszeit nicht mangeln. Er kommt zu einer spannenden Zeit. In Israels Städten wächst der Protest gegen die hohen Miet- und Lebenshaltungskosten. Im September steht die UN-Entscheidung über den palästinensischen Staat an, während die Nachbarstaaten einen aufregenden und zum Teil blutigen Selbstfindungsprozess durchmachen. Bei allen Entscheidungen werde Deutschland stets in der bilateraten, besonderen Rolle gefordert. »Wir können nicht in die Vogelperspektive einer scheinbar objektiven Betrachtung des Nahostkonflikts rücken.«