Bundestagswahl

Auf dem Prüfstand

Armin Laschet in der Tachles Arena des Zentralrats Foto: Leon Spanier

Der Countdown läuft: Am 26. September ist Bundestagswahl. 60,4 Millionen Wahlberechtigte sind aufgerufen, neu über die Sitzverteilung im Bundestag zu entscheiden. In diesen Tagen kämpfen die Parteien um jede Stimme. An vorderster Front stehen die Spitzen- und Kanzlerkandidaten – sie sind das Aushängeschild ihrer Partei und geben die politische Marschrichtung vor.

Bei der »Tachles Arena« des Zentralrats der Juden in Deutschland waren alle Spitzenpolitiker der fünf großen Parteien zu Gast: Olaf Scholz (SPD), Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen), Dietmar Bartsch (Die Linke), Christian Lindner (FDP) und Armin Laschet (CDU). Bei der Fragestunde mit den Spitzenkandidaten der aktuell im Bundestag vertretenen Parteien (die AfD war als antidemokratische Partei ausdrücklich nicht eingeladen) stellten sich die Politiker den kritischen Fragen von Moderatorin Ilanit Spinner, Journalistin beim Bayerischen Rundfunk.

ORIENTIERUNG Im Vordergrund standen der Kampf gegen Antisemitismus, das Verhältnis der Parteien zu Israel und die Sicherheit jüdischen Lebens in Deutschland – kurzum: Die Spitzenpolitiker gaben Auskunft darüber, wie koscher das Wahlprogramm ihrer Partei ist. Die Gesprächsrunden, die auf dem YouTube-Kanal des Zentralrats zu sehen sind, sollen Interessierten eine inhaltliche Orientierung sowie eine Entscheidungshilfe geben. Die Jüdische Allgemeine hat die Positionen der Spitzenpolitiker zu den einzelnen Themenbereichen zusammengetragen.

Beim Thema Antisemitismus sind sich die Kandidaten einig: In Deutschland darf es keine antijüdische oder antiisraelische Hetze auf der Straße oder im Netz geben – gegen antisemitische Straftäter muss mit der Härte des Gesetzes vorgegangen werden. Bundesfinanzminister und SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz fordert, alle Formen des Antisemitismus zu benennen und dagegen vorzugehen. »So bequem, dass man eine Gruppe identifiziert und dann den Eindruck erweckt, das hat mit allen anderen nichts zu tun, darf man es sich nicht machen«, sagt der Sozialdemokrat.

präventionsarbeit Der Antisemitismus sei eine Bedrohung, die aus verschiedenen gesellschaftlichen Richtungen komme. Scholz setzt sich für ein bundesweites Demokratiefördergesetz ein, um zivilgesellschaftliche Initiativen gegen Antisemitismus finanziell zu unterstützen. Zudem will er mehr Präventionsarbeit an den Schulen, die Sicherheit für jüdische Einrichtungen ausbauen, und er plädiert dafür, den Umgang mit Antisemitismus bereits in der Lehramtsausbildung zu verankern.

Beim Thema Antisemitismus sind sich die Kandidaten einig.

Dafür spricht sich auch Armin Laschet, NRW-Ministerpräsident und Kanzlerkandidat der Union, aus. »Entscheidend sind Bildungsanstrengungen und die Prävention auf allen Ebenen unseres Bildungssystems«, sagt er. Dazu gehörten neben den Schulen auch die Justiz und die Polizei. Laschet fordert im Kampf gegen Antisemitismus eine »Null-Toleranz-Politik«.

Dafür will er ein strengeres Waffenrecht durch Abfrage der Waffenbehörden beim Verfassungsschutz durchsetzen, extremistische Gruppierungen durch das Bundesinnenministerium sollen verboten werden, und die Befugnisse der Sicherheitsbehörden will er ausweiten – online wie offline. »Polizei und Sicherheitsorgane müssen in die Lage versetzt werden, extremistische Kommunikationsnetze besser zu überwachen«, findet Laschet. Die BDS-Kampagne ist aus Laschets Sicht im Kern antisemitisch.

sicherheitsbehörden Für Dietmar Bartsch, Spitzenkandidat der Linken, ist der Kampf gegen Antisemitismus eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Bei antisemitischen Demonstrationen wie im Mai, bei denen Israelfahnen verbrannt und Synagogen angegriffen wurden, müssten die Sicherheitsbehörden strikt einschreiten. Im Tachles-Arena-Gespräch leugnet Bartsch nicht, dass es auch in seiner Partei antisemitisches Gedankengut gibt: »Es gibt die These, Antisemitismus könne nicht links sein. Das kann er sehr wohl.«

Gegen diese Tendenzen in den eigenen Reihen vorzugehen, ist ihm ein Anliegen. Bartsch lehnt die BDS-Kampagne ab – im Gegensatz zur Mehrheit seiner Partei, die als einzige Fraktion 2019 den Anti-BDS-Beschluss des Bundestags nicht mitgetragen hat. »Aus historischer Verantwortung müssen wir eine solche Kampagne ablehnen. Sie erinnert viel zu stark an den Satz ›Kauft nicht bei Juden!‹«, sagt Bartsch.

BDS Das sieht Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock ähnlich. Sie hat sich klar gegen die BDS-Kampagne positioniert. »Einen Boykott Israels lehnen wir als Europäer, Deutsche und Grüne ab. Klar und deutlich«, betont Baerbock im Gespräch mit Ilanit Spinner. »Da gibt es kein Wenn und Aber. Wenn man sagt, dass Israel pauschal boykottiert wird, dann ist diese Haltung antisemitisch.«

Grundsätzlich gelte es, Antisemitismus aus jeder Richtung zu bekämpfen – auch wenn er aus der Umweltbewegung von »Fridays for Future« kommt, sagt Baerbock. Mit Blick auf judenfeindliche Einstellungen von muslimischen Zuwanderern und Flüchtlingen fordert die Grünen-Politikerin eine Stärkung der Integrationskurse. Dort müssten Themen wie Antisemitismus, Religionsfreiheit und die Schoa vermehrt angesprochen werden.

FPD-Spitzenkandidat Christian Lindner plädiert beim Thema Antisemitismus für eine »robuste Sicherheit«, die von den Behörden getragen werden müsse. Dazu zählt er den Schutz von Synagogen und jüdischen Einrichtungen sowie Aufklärung und offenen Diskurs über Vorurteile und Stereotype. »Wer schweigt, stimmt zu«, sagt Lindner. Ein jeder müsse antisemitischen Aussagen im Alltag widersprechen, auch online. Bei der Präventionsarbeit sieht der Liberale einen besonderen Schwerpunkt in den Schulen. So sollte seiner Meinung nach jeder Schüler in Deutschland mindestens einmal einen authentischen NS-Gedenkort besucht haben und auf diese Weise mit der Geschichte der Schoa konfrontiert werden.

Solidarität mit Israel ist für Lindner und seine FDP Bestandteil des Parteiprogramms. Ein gutes und freundschaftliches Verhältnis zum jüdischen Staat ist ihm wichtig, »aus Verantwortung vor unserer Geschichte, der Schoa und weil Israel die einzige Demokratie in der Region ist«. Sollten seine Liberalen in der kommenden Regierung Verantwortung übernehmen, wolle man sich außenpolitisch dafür einsetzen, dass die einseitige Kritik am Staat Israel bei den Vereinten Nationen aufhöre.

STAATSRÄSON CDU-Kanzlerkandidat Laschet betont, dass die Sicherheit Israels Teil deutscher Staatsräson ist und bleibt. »Unsere Freundschaft mit Israel ist ein großes Geschenk. Aus unserer historischen Verantwortung heraus sind wir Israels Sicherheit verpflichtet«, sagt Laschet. Die Union stehe zur Fortsetzung der engen militärischen Kooperation mit Israel. Die Partei tritt dafür ein, dass der Iran seine Verpflichtungen aus der Wiener Nuklearvereinbarung von 2015 (JCPOA) einhält und sein ballistisches Raketenprogramm und seine destabilisierende Rolle in der Region beendet.

»Wir sprechen uns dafür aus, dass die Bundesregierung UN-Resolutionen nur dann zustimmt, wenn sie dem Ziel des Friedens im Nahen Osten dienen und nicht einseitig zulasten Israels ausgerichtet sind«, erklärt Laschet.

Auch sein sozialdemokratischer Mitbewerber um das Kanzleramt sieht die Sicherheit Israels als Teil bundesdeutscher Staatsräson. Scholz hofft auf Frieden durch eine Zweistaatenlösung und ist dafür, im Rahmen der deutsch-israelischen Sicherheitspartnerschaft Waffen an das Land zu liefern. Das ist für den Sozialdemokraten die logische Schlussfolgerung aus der Maxime, dass Deutschland fest an der Seite Israels steht.

waffenlieferungen Die Linke ist hingegen strikt gegen Waffenlieferungen ins Ausland. Spitzenkandidat Bartsch hat aber wiederholt erkennen lassen, dass er das in Bezug auf Israel anders sieht – und etwa im Fall von U-Boot-Lieferungen eine Ausnahme machen will. Für den Spitzenmann der Linken ist das Existenzrecht Israels »selbstverständlich unverhandelbar«.

Das gilt auch für Grünen-Kanzlerkandidatin Baerbock, die sich für eine Fortführung der Sicherheitskooperation mit Israel ausspricht, sollte ihre Partei die neue Regierung bilden. »Die Sicherheit und das Existenzrecht Israels gehören für mich zur deutschen Staatsräson.« Im Nahostkonflikt setzt sich Baerbock für das Recht auf Selbstverteidigung vonseiten Israels ein. Die Politikerin plädiert zudem für eine stärkere diplomatische Vermittlerrolle der Bundesregierung.

Weitere Infos unter www.zentralratderjuden.de/tachles-arena/

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