Seit vielen Jahren ist der jüdische Finanzier und Mäzen George Soros Ziel heftiger Angriffe und Verbalinjurien – vor allem im Netz. In seiner ungarischen Heimat musste Soros, der im August 93 Jahre alt wird, bereits auf riesigen Postern der Regierung von Ministerpräsident Viktor Orbán als Buhmann herhalten, weil er angeblich gezielt die illegale Einwanderung fördere.
»99 Prozent lehnen illegale Einwanderung ab. Lassen wir nicht zu, dass es Soros ist, der am Ende lacht!«, stand 2017 auf einem Plakat. Damit würden »unkontrollierte antijüdische Gefühle« geweckt, kritisierte der damalige Präsident des jüdischen Gemeindebundes, András Heisler.
SCHOA Weltweit wird Soros, der in Budapest die Nazi-Zeit überlebte und seit Langem in den USA wohnt, angefeindet. Für rechtsextreme Kreise verkörpern er und das von ihm gegründete und mit Milliardensummen finanzierte Netzwerk Open Society Foundations (OSF) den verhassten linksliberalen Mainstream. Auch in Israel schlagen Soros Kritik und Ablehnung entgegen – vor allem, weil seine Stiftung Projekte und Organisationen unterstützt, die dem jüdischen Staat feindselig gegenüberstehen.
Vergangene Woche wurde Soros nun von Twitter- und Tesla-Chef Elon Musk hart angegangen. Grund war, dass der Finanzier seinen Anteil an dem Autobauer verkauft hatte. Seine 132.000 Tesla-Aktien hatte Soros – ausweislich des Berichtes für das erste Quartal 2023 – für einen zweistelligen Millionenbetrag abgestoßen. Eigentlich Peanuts für den Milliardär. Doch Musk, der Tesla zum weltweit führenden Hersteller von E-Autos gemacht hat, ließ die Nachricht nicht einfach auf sich sitzen.
Er verglich den 92-Jährigen mit der Comic-Figur Magneto aus der Reihe X-Men. Als Kompliment war das nicht gemeint; Magneto verkörpert in den Büchern meist die Rolle des Bösewichts, und als solchen sieht Musk auch Soros. Als ein Twitter-Nutzer Musk darauf hinwies, dass es sich bei Magneto um eine jüdische Kunstfigur handelt, die laut Legende der Autoren als Einzige ihrer Familie den Holocaust überlebt habe, legte der Twitter-Chef noch eine Schippe drauf und antwortete: »Er will die Struktur der Zivilisation aushöhlen. Soros hasst die Menschheit.«
BÖSEWICHT Die Figur des Magneto hat übermenschliche Kräfte, kann Magnetfelder erzeugen und so Metall verbiegen. Magneto trägt einen Helm, der ihn gegen jedwede Art von Gedankenkontrolle schützt, und fühlt sich anderen intellektuell überlegen. Ob Musk mit seinem Kommentar darauf angespielt hat, ist nicht bekannt. Dass ihm aber die jüdische Familiengeschichte Magnetos und auch die von George Soros bekannt sind, darf als gesichert angenommen werden.
Jedenfalls löste Musk mit seinem Tweet nicht nur einen Shitstorm aus, sondern befeuerte ihn noch kräftig. Als Jonathan Greenblatt von der Anti-Defamation League (ADL) ihm vorwarf, seine Äußerungen ermutigten »Extremisten, die bereits antijüdische Verschwörungen erfinden und versucht haben, Soros und jüdische Gemeinden anzugreifen«, keilte Musk umgehend zurück. »Hey, hör auf, mich zu diffamieren«, herrschte er den ADL-Chef an. Die traditionsreiche jüdische Organisation möge doch bitte das »A« aus ihrem Namen streichen, schimpfte er.
»Er will die Struktur der Zivilisation aushöhlen«, behauptet Musk. »Soros hasst die Menschheit.«
In einem Interview verteidigte Musk seine Verbalattacke auf Soros. Er habe schließlich ein Recht darauf, seine Meinung zu twittern. Es sei ihm schlichtweg »egal«, ob sich das negativ auf den Umsatz von Tesla oder von Twitter auswirke.
Der 51-jährige Multimilliardär, der mit einem geschätzten Vermögen von mehr als 180 Milliarden Dollar aktuell der reichste Mann der Welt ist, war sich in der Vergangenheit auch nicht zu schade, Verschwörungstheorien zu verbreiten, Politiker mit Hitler zu vergleichen oder mit Ressentiments zu spielen. Fast ein Drittel der 450 Millionen Twitter-Nutzer folgen Musks Konto, der Chef ist auch der reichweitenstärkste Nutzer der Plattform.
Seit seiner Übernahme von Twitter im Herbst 2022 versucht der gebürtige Südafrikaner, bei der politischen Rechten zu punkten. Es gehe ihm um den Schutz der freien Meinungsäußerung, beteuert Musk. »Ich sage, was ich sagen will, und wenn das zur Folge hat, dass ich Geld verliere, dann soll es so sein«, sagte er in einem Interview mit dem US-Sender CNBC.
KRITIK Ob seine lautsprecherischen Aktivitäten in einem Zusammenhang mit dem von Organisationen wie der ADL konstatierten Anstieg von antisemitischen Äußerungen auf Twitter stehen, ist schwer zu belegen. In der vergangenen Woche trendete jedenfalls dort plötzlich der Hashtag #TheJews. Twitter sei voll mit »antisemitischen Verschwörungen und Hassreden, die sich gegen Juden in aller Welt richten«, sagte David Saranga, Leiter der Abteilung Digitale Diplomatie im israelischen Außenministerium. Das Unternehmen unternehme nichts, um das Problem in den Griff zu bekommen.
Ganz so eindeutig wird die Angelegenheit aber offenbar auch in Jerusalem nicht gesehen. Diasporaminister Amichai Chikli nahm Elon Musk ausdrücklich in Schutz. Der wahre Bösewicht sei vielmehr George Soros, so der Likud-Politiker. »Ich möchte klarstellen, dass die israelische Regierung und die überwiegende Mehrheit der israelischen Bürger Elon Musk als großartigen Unternehmer und als Vorbild ansehen. Kritik an Soros – der die feindlichsten Organisationen gegen das jüdische Volk und den Staat Israel finanziert – ist alles andere als Antisemitismus, ganz im Gegenteil!«
Der so Angegriffene ließ sich nicht aus der Fassung bringen und schwieg beharrlich. Dabei ist auch George Soros auf Twitter aktiv. Auf Musks Vorhaltungen, er sei wie Magneto und hasse die Menschheit, reagierte er nicht. Einen Tag später wartete Musk dann mit einer Entschuldigung auf. Sein Magneto-Vergleich sei wirklich unfair gewesen – für Magneto.