Ravensbrück

»Attraktiver als hirnlose Fließbandarbeit«

In der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück sind Überreste des Frauen-KZ Ravensbrück zu sehen. Foto: dpa

Praktische Frisur, Uniform mit Jackett und Rock, an der Seite zwei Kinder: Das Foto von 1941 zeigt Johanna Langefeld mit ihrem Sohn und der Tochter einer Freundin. Die damals 41-Jährige war zu dem Zeitpunkt seit knapp zwei Jahren Oberaufseherin im größten Frauen-Konzentrationslager der Nazis, in Ravensbrück. Die KZ-Aufseherinnen sind Thema der Dauerausstellung »Im Gefolge der SS«, die seit fünf Wochen in der brandenburgischen Gedenkstätte zu sehen ist und am Sonntag offiziell eröffnet wurde.

Im Mittelpunkt stehe die Frage, wie aus ganz durchschnittlichen Frauen in kurzer Zeit gewaltbereite KZ-Aufseherinnen wurden, sagt Kuratorin Simone Erpel. Rund 3340 überwiegend junge Frauen wurden zwischen 1939 und 1945 im KZ Ravensbrück als Wachpersonal ausgebildet. Einige bewarben sich freiwillig, andere wurden dienstverpflichtet. Die Ausstellung erzählt ihre Geschichte vor und nach 1945 - und die Sicht ihrer Opfer.

MOTIVE Die Motive, sich in Ravensbrück in den Dienst der SS zu stellen, seien überwiegend materieller Natur gewesen, sagt Erpel. Ehemalige Aufseherinnen dokumentieren das Jahrzehnte später in Interviews, die Teil der Ausstellung sind: Der Dienst im KZ sei »attraktiver als hirnlose Fließbandarbeit« gewesen, sagt eine von ihnen.

Die genaue Tätigkeit wurde bei der Anwerbung meist verschleiert: In einer Zeitungsannonce von 1944 werden Frauen »für den Einsatz bei einer militärischen Dienststelle« gesucht. In einer Antwort auf eine Bewerbung heißt es, in Ravensbrück säßen Frauen ein, die »irgendwelche Verstöße gegen die Volksgemeinschaft begangen haben und nun, um weiteren Schaden zu verhindern, isoliert werden müssen«. Sie müssten beaufsichtigt werden, es werde Tariflohn gezahlt.

VERWEIGERUNG Erstmals werden in der Ausstellung nun auch Aussagen von zwei Frauen präsentiert, die den Einsatz in Ravensbrück aus Gewissensgründen verweigerten. »Es wurde uns ein gutes Gehalt versprochen. Auch gute Kost«, fasst eine von ihnen, Frieda Matthes, die Umstände Ende 1946 in einer Zeugenaussage zusammen.

Im August 1944 wurde sie aus Chemnitz zu einem Lehrgang nach Ravensbrück geschickt. Auf dem Bahnhof in der Nähe hätten sie die ersten Häftlingsfrauen gesehen, berichtet Matthes: »Es war ein jämmerlicher Anblick.«

Die Zustände bei der Ankunft im Lager beschreibt sie als »himmelschreiendes Elend«. Sie besprach sich mit ihrer Freundin Ilse Dost. »Wir kamen beide überein, dass wir hier auf keinen Fall bleiben«, sagt sie 1946 bei der Kriminalpolizei aus: »Nach anfänglichen Schwierigkeiten konnten wir dann auf eigene Kosten wieder nach Hause fahren.«

BRUTALITÄT In der Ausstellung dokumentieren Zitate, wie schnell neue Aufseherinnen ihr Mitgefühl vergessen und sich an das Verhalten der anderen Aufseherinnen gewöhnt haben. »Einige von uns machten sich ein kleines, aber bitteres Spiel daraus, die Zeit zu messen, die eine neue Aufseherin brauchte, ehe sie deren Brutalitätspegel erreicht hatte«, erinnert sich später die französische Widerstandskämpferin Germaine Tillion, die das KZ überlebt hat.

Nach 1945 wurde kaum eine Täterin zur Rechenschaft gezogen. Nur eine verschwindend geringe Anzahl von Aufseherinnen habe vor Gericht gestanden, heißt es in der Ausstellung: »Wem es in den ersten Nachkriegsjahren gelang, sich einer Verhaftung durch die Alliierten zu entziehen, dem drohte zumeist weder in der Bundesrepublik noch in der DDR eine Verurteilung.«

Auch Johanna Langefeld musste sich nicht vor Gericht verantworten, wenn auch aus ungewöhnlichen Gründen. 1900 geboren in Essen, 1935 nach längerer Erwerbslosigkeit wieder eine Anstellung, 1937 Eintritt in die NSDAP, lautet ihre knappe Biografie. Im Februar 1942 organisiert sie in Ravensbrück die Zusammenstellung der Transporte für die Kranken-Mordaktion »14f13«, im März 1942 wird sie nach Auschwitz versetzt und selektiert Häftlinge für die Gaskammer.

 Im Spätsommer 1942 lässt sich Johanna Langefeld wieder nach Ravensbrück versetzen. 1943 versucht sie dann, einige zum Tode verurteilte Polinnen zu schützen. Sie wird aus dem KZ-Dienst entlassen. Nach Kriegsende wird sie verhaftet und soll in Polen vor Gericht. In der Untersuchungshaft helfen ihr dann ehemalige polnische Häftlinge bei der Flucht. Sie taucht unter, geht illegal nach Deutschland zurück. 1974 stirbt sie in Augsburg. epd

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