Arno Lustiger ist tot. Der Historiker und Publizist verstarb gestern im Alter von 88 Jahren. Der Präsident des Zentralrats der Juden, Dieter Graumann, würdigte Lustiger als »beeindruckende Persönlichkeit, die sich trotz oder gerade wegen ihrer Leidensgeschichte im Holocaust für das friedliche und tolerante Miteinander eingesetzt hat«. Seine Forschungen zu Themen des jüdischen Widerstands oder der Helfer jüdischer Verfolgter bleiben einzigartig und »ein Geschenk an alle Menschen heute und in der Zukunft«. Seine Fähigkeit, sensible politische Zusammenhänge zu erkennen, machte ihn zudem zu einem angesehenen Analytiker, dem man gerne und oft stundenlang zuhören wollte, so Graumann weiter. »Er wird uns sehr fehlen. Wir werden auch in Zukunft vom Wirken des Menschen Arno Lustiger erzählen – er bleibt in unseren Herzen und Gedanken.«
Der Wissenschaftler Micha Brumlik sagte der Jüdischen Allgemeinen: »Arno Lustiger hat sich, seinem schweren Schicksal zum Trotz, in seinen späten Jahren in bewundernswerter Weise als Historiker nicht nur des jüdischen, sondern zuletzt auch des deutschen Rettungswiderstandes bewiesen – seine entsprechenden Studien gehören zur politischen Kultur der Bundesrepublik Deutschland. Besonders beeindruckt hat mich sein erstes historisches Werk, in dem er die Rolle und Bedeutung jüdischer Freiwilliger im Spanischen Bürgerkrieg aufseiten der Republik gewürdigt hat. Seine Stimme und sein Urteil werden mir fehlen.«
engagement Frankfurts Oberbürgermeisterin Petra Roth hat Arno Lustiger als einen bedeutenden Historiker gewürdigt, der sich mit großem Engagement um die Erinnerungskultur in Deutschland verdient gemacht habe. Die Stadt Frankfurt am Main hatte Lustiger, der selbst den Holocaust überlebt hat, 1998 mit der Goetheplakette für sein erinnerungskulturelles Wirken ausgezeichnet. Lustiger stellte die Geschichte des jüdischen Widerstands zur Zeit des Nationalsozialismus in den Mittelpunkt seiner Forschungsarbeit. An den Schulen des Rhein-Main-Gebiets erzählte er als Zeitzeuge über seine Kindheit in Polen, die Besetzung des Landes durch die Deutschen und die Zeit in den Arbeits- und Konzentrationslagern.
Der designierte Frankfurter Oberbürgermeister Peter Feldmann (SPD) sagte über Lustiger: »Er war hier in Frankfurt eine absolute Größe.« Lustiger habe sich durch seine Vortragsarbeit sowohl vor Jugendlichen als auch vor einem wissenschaftlichen Publikum einen Namen gemacht. Vor allem durch seine Publikationen Schalom Libertad! über Juden im Spanischen Bürgerkrieg und sein Rotbuch: Stalin und die Juden habe er viel bewirkt, so Feldmann. »Arno Lustiger war ein bescheidener Mensch, sehr angenehm im Umgang mit anderen. Er hatte nichts Großspuriges.«
Dalia Wissgott-Moneta, Leiterin der Sozialabteilung der Jüdischen Gemeinde Frankfurt/Main, ist sehr bestürzt über den Tod des Historikers. Sie habe ihn noch vor Kurzem bei einer privaten Geburtstagsfeier getroffen. »Er hat nicht getanzt, er war ja schon ein älterer Herr, aber er war da. Arno Lustiger war im positiven Sinne eigensinnig. Ich mochte ihn sehr gern.«
Mehr als 40 Jahre saß Lustiger im Vorstand der Frankfurter Budge-Stiftung. »Er hat sich dafür eingesetzt, dass auch nach dem Holocaust Juden und Christen in unserem Haus zusammenleben«, sagte der Geschäftsführer der Budge-Stiftung, Heinz Rauber. »Arno Lustiger war eine streitbare und aufrechte Persönlichkeit.« Er habe den Menschen Mut gemacht, das Zusammenleben nach der Schoa zu versuchen. Die Budge-Stiftung hätte Lustigers Verdienste gern mehr gewürdigt, doch sei dies aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich gewesen, so Rauber. »Wir überlegen, wie wir des Verstorbenen im Haus gedenken werden.«
Rabbiner Andrew Steiman von der Budge-Stiftung sagte: »Ich kannte Arno seit 40 Jahren, seit meiner Barmizwa. Ich habe sehr viel von ihm gelernt. Er war für mich wie ein Vater – manchmal auch so streng, aber liebevoll.« Durch seinen Tod verliere die jüdische Gemeinde »wieder einen aus der Generation, die für uns unersetzlich ist«, so Steiman. »Wir können in seinem Geiste dafür sorgen, dass es nicht ein jüdisches Überleben gibt, sondern ein jüdisches Leben.« Lustiger habe anderen, die das gleiche Schicksal teilten, Mut und Richtung gegeben, so Steiman weiter.
symbolfigur Für Stefan Szajak, Geschäftsführer der Jüdischen Gemeinde Frankfurt/Main, ist Arno Lustiger als einer ihrer Begründer eine absolute Symbolfigur gewesen. »Es bedeutet einen großen Verlust, wenn ein Mensch wie Arno Lustiger stirbt. Er ist eine Persönlichkeit der Zeitgeschichte, manchmal durchaus auch umstritten. Wir hatten einige Differenzen im Gemeinderat, aber Lustiger war durchweg positiv.« Nach außen hin habe er eine enorme Wirkung erzielt, sagt Szajak. Lustigers »historische Arbeiten waren natürlich schier unglaublich. Er hat große Verdienste erworben.«
Frankfurts Rabbiner Menachem Klein empfindet große Trauer über den Tod von Arno Lustiger. »Ich war sehr mit ihm befreundet und wusste, dass er sehr krank war.« Er habe immer ein sehr gutes Verhältnis zu Lustiger gepflegt, betont Klein. »Ich habe ihn sehr gemocht, und er hat sich mehrmals mit mir über verschiedene Sachen beraten. Er war ein Mensch im wahrsten Sinne des Wortes.« Ihn habe vor allem sein überzeugtes Judentum ausgezeichnet. »Arno Lustiger war ein stolzer Jude, der nicht den Kopf sinken ließ trotz der Schoa. Er war wirklich sehr stolz.«
Leben Lustiger, der 1924 im polnischen Bendzin als Kind jüdischer Eltern zur Welt kam, überlebte mehrere Konzentrationslager, darunter das KZ Auschwitz-Blechhammer oder das KZ Buchenwald, und mehrere Todesmärsche. Während seiner Flucht von einem der Märsche wurde der damals 21-Jährige von amerikanischen Soldaten gerettet.
Nach Ende des Zweiten Weltkrieges ging Lustiger nach Frankfurt/Main, war dort als Textilunternehmer tätig und baute die Jüdische Gemeinde mit auf. Der Historiker forschte unter anderem über den Spanischen Bürgerkrieg, zum jüdischen Widerstand und schrieb seine Erinnerungen 2004 in seiner Biografie Sing mit Schmerz und Zorn – Ein Leben für den Widerstand nieder.
Zusammen mit Wolf Biermann, mit dem er 2001 den Heinz-Galinski-Preis bekam, hielt Arno Lustiger am Holocaust-Gedenktag 2005 eine Rede im Bundestag, in der er die mangelnde geschichtliche Aufarbeitung der Todesmärsche kritisierte.
Lustiger war von 2004 bis 2006 Gastprofessor am Frankfurter Fritz Bauer Institut und erhielt mehrere Auszeichnungen, wie das Bundesverdienstkreuz oder die Moses-Mendelssohn-Medaille.