Forschung

Archäologische Funde und das Grauen des Nationalsozialismus

Das Dokumentationszentrum am Obersalzberg in Berchtesgaden Foto: picture alliance / dpa

Ein Löffel mit hebräischer Gravur, eine rote Zahnbürste, ein Kamm oder angelaufenes Silberbesteck - Funde wie diese stellen Archäologinnen und Archäologen vor Herausforderungen. Denn die Stücke stammen von Orten, an denen die Schrecken und die Macht der nationalsozialistischen Herrschaft offenbar wurde. Wie soll man damit umgehen?

Im Dokumentationszentrum am Obersalzberg, einer einstigen Machtzentrale Adolf Hitlers, haben sich Forschende aus Bayern und Österreich mit dieser Frage beschäftigt. Ihr Ergebnis: Sie wollen diese Stücke mit besonderer Sorgfalt erfassen, dokumentieren und erforschen.

Die Notwendigkeit ergebe sich aus der historischen Einmaligkeit des Holocaust und der Bedeutung der Verbrechen gegen die Menschlichkeit der NS-Diktatur, heißt es in dem nun veröffentlichten Positionspapier. Verfasst haben es Fachleute des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege (BLfD), des österreichischen Bundesdenkmalamtes (BDA) und der Universität Wien.

Kollektives Gedächtnis

Bayerns Wissenschaftsminister Markus Blume (CSU) unterstreicht den Wert dieser Arbeit: »Eine lebendige Erinnerungskultur ist unerlässlich für das kollektive Gedächtnis unserer Nation. Sie verhindert, dass die Schrecken der NS-Diktatur in Vergessenheit geraten und mahnt zur Wachsamkeit – gerade in diesen Zeiten wichtiger denn je.«

Die Dinge sollen Antworten geben, wenn es Überlebende der Vernichtungsmaschinerie nicht mehr können: »Da kaum noch Zeitzeugen leben, gewinnen archäologische Funde als materielle Zeugen der Geschichte eine immer größere Bedeutung, um die Lebenswirklichkeit von Opfern und Tätern der NS-Zeit nachvollziehbar zu machen«, sagt Mathias Pfeil, Generalkonservator vom Bayerischen Landesdenkmalamt.

Für Claudia Theune von der Universität Wien sind sie eine wichtige Ergänzung: Sie könnten Strukturen von Macht und Terror der nationalsozialistischen Diktatur deutlich werden lassen.

Systematisch ermordet

So etwa der Löffel. Auf Hebräisch ist am Griff der Name »Josef« eingraviert. Gefunden wurde er auf dem Gelände von Schloss Hartheim nahe Linz in Oberösterreich. Die Nazis hatten den Renaissance-Bau in eine Tötungsanstalt verwandelt. Rund 30.000 Menschen sollen hier von 1940 bis 1944 systematisch in Gaskammern ermordet worden sein, körperlich und geistig Behinderte, psychisch Kranke sowie schwache Häftlinge aus Konzentrationslagern.

In acht Gruben habe man Asche von Ermordeten gefunden und persönliche Gegenstände von Opfern, darunter den Löffel. Mit dem Vergraben sollten Spuren verwischt werden, die nun zutage treten am einstigen Ort des Grauens, der heute eine Lern- und Gedenkstätte ist.

»Die Funde beweisen nicht nur Gräueltaten, sondern helfen dabei, näher an Opfer heranzukommen, sie nicht nur als große Zahl zu sehen, sondern tatsächlich als Menschen«, sagt Stefanie Berg, Leiterin der Bodendenkmalpflege beim Landesdenkmalamt in München.

Dunstkreis der Macht

»Über Alltagsgegenstände erzeugen wir Mitgefühl beim Betrachter, der viele Dinge ja aus dem eigenen Alltag kennt. Das ist umso bedeutsamer, je weniger Zeitzeuginnen und Zeitzeugen am Leben sind.« Zudem ließen sich schriftliche Quellen und Zeitzeugenberichte dadurch belegen oder entkräften. »So kommen wir der Wahrheit ein Stückchen näher.«

Vom guten Leben im Dunstkreis der Macht zeugen Funde am Obersalzberg. Hitler und hochrangige Nazis wie Martin Bormann oder Hermann Göring residierten in der Alpenidylle bei Berchtesgaden. Auch militärische Anlagen, Verwaltungsgebäude, Wohnungen für Angestellte und Bunker wurden errichtet.

Hier stießen Archäologen unter anderem auf Besteck, eine Gedenkmünze, eine Zahnbürste und eine runde Packung »hygienischer Gummischutz« zur Verhütung. Für die Experten ist klar: »Diese Funde geben eindrücklich Aufschluss darüber, welchen Besitz höherrangige SS-Offiziere und ihre Bediensteten im Gegensatz zu den vom Nazi-Regime verfolgten und ermordeten Menschen hatten.« dpa

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