Im Auschwitz-Prozess gegen den früheren SS-Mann Oskar Gröning haben am Donnerstag die Anwälte der Nebenkläger den Angeklagten befragt. Dabei ging es unter anderem darum, ob er wirklich nur ausnahmsweise Dienst an der Rampe im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau gehabt habe. Gröning sagte: »Ich stand auf dem Dienstplan seit meiner Beförderung am 31.1.1944 nicht mehr drauf.«
In dem Prozess vertreten elf Anwälte insgesamt mehr als 60 Nebenkläger, darunter Auschwitz-Überlebende und Angehörige der Opfer. Sieben der Nebenkläger saßen mit im Gerichtssaal. Einer der Anwälte fragte Gröning mit Blick auf die Auschwitz-Überlebenden, ob er sich habe vorstellen können, dass Juden lebend aus Auschwitz heraus kommen könnten. Gröning antwortete nach langem Schweigen: »Ich konnte mir das nicht vorstellen.«
Lüneburg Das Interesse an Lüneburg war schon zu Prozessbeginn am Dienstag groß: Auf dem Kopfsteinpflaster zwischen den Backsteinhäuschen drängeln sich die Übertragungswagen. Für die norddeutsche Stadt interessierte sich die Weltpresse. Weil der Saal des Landgerichts zu klein ist, verhandelt die 4. Große Strafkammer in dem privaten Veranstaltungsort »Ritterakademie«.
Der 93-jährige Oskar Gröning ist der Beihilfe zum Mord in mehr als 300.000 Fällen angeklagt. Es geht um die Tätigkeit des SS-Unterscharführers im Vernichtungslager Auschwitz. Mehr als 60 Nebenkläger unterstützen die Anklage, es sind Auschwitz-Überlebende und ihre Angehörigen.
Nach Lüneburg sind fünf Nebenkläger angereist. Die 86-jährige Hedy Bohm aus dem kanadischen Toronto ist eine von ihnen. Sie hat in der Schoa so viele Verwandte verloren, »dass ich sie gar nicht zählen mag«, erzählt sie. Bohm selbst war als 16-Jährige drei Monate in Auschwitz interniert, dann rettete sie die Abordnung in ein Arbeitslager von VW vor dem Tod.
schuld Am Dienstag erlebte Bohm mit, wie Gröning etwa eine Stunde lang aussagte. Ausführlich schilderte er, was er erlebt hatte: An der Rampe hatte er Geld aus dem Gepäck genommen, das die nach Auschwitz deportierten Menschen dort zurücklassen mussten. Das gestohlene Geld sandte er an die SS nach Berlin, daher nennt man ihn den »Buchhalter von Auschwitz«. Vor Gericht sagte Gröning: »Zu dieser moralischen Schuld bekenne ich mich auch hier mit Reue und Demut vor den Opfern.«
Was die konkrete Anklage angeht, sagte er: »Zu den Vorfällen selbst kann ich nichts sagen, weil ich nicht dabei war. Das betraf nicht meinen Arbeitsbereich.« An den Richter gewandt fügte er hinzu: »Über die juristische Schuld müssen Sie entscheiden.«
Hedy Bohm hört sich die Einlassungen Grönings an. Seit ihrer Befreiung war sie nur noch auf Durchreise in Deutschland gewesen. »Ich bin hier, weil ich etwas bewirken kann, weil ich die Stimme meiner Eltern und meiner Familie sein kann, die heute nicht mehr hier sein können.« Dass der Prozess überhaupt stattfindet, ist ihr wichtig: »Niemals hätte ich geglaubt, dass ich es erleben würde, von Angesicht zu Angesicht einem Angeklagten aus Auschwitz gegenüberzustehen, der sich für seine Vergehen rechtfertigen muss.«
urteil Doch es sind nicht Rachegefühle, die sie bewogen haben, als eine Vertreterin der Nebenklage vor Gericht auszusagen. Die Strafe sei ihr gleichgültig. »Es ist mir nicht wichtig, ob er ins Gefängnis gehen muss, für all diese Dinge ist es nun ohnehin zu spät.« Ihr geht es wie auch den anderen anwesenden Klägern darum, dass der Prozess überhaupt stattfindet und dass es auch 70 Jahre nach Kriegsende noch zu einer Verurteilung kommen wird.
So sieht es auch Eva Pusztai-Fahidi, die aus Budapest nach Lüneburg gereist ist. »Was dort wirklich geschehen ist, das kann nur jemand wissen, der auch dort gewesen ist. Für mich ist dieser Prozess, seit ich Auschwitz-Birkenau verließ, vielleicht das wichtigste Ereignis meines Lebens.« Von Gröning erwartet Pusztai-Fahidi nicht viel im Prozess. »Was kann man als Auschwitz-Überlebende von einem SS-Mann hören wollen? Ich habe 49 Namen, die auf der Rampe an ihm vorbeimarschiert sind. Wird er mir sagen, dass er nur danebengestanden und nichts getan hat?« Auch sie ist nicht auf ein bestimmtes Strafmaß aus, es geht ihr darum, dass das Prinzip der Mittäterschaft geahndet wird. Es wäre die erste Verurteilung wegen Beihilfe zu Mord in einem NS-Prozess seit den 60er-Jahren.
Gröning, der mit einem Rollator kam, ist auch der erste Angeklagte in einem NS-Verbrechen, der nichts abstreitet. Vor Gericht schildert er, dass er erlebte, wie in einem dafür umgebauten Bauernhof Menschen vergast wurden, wie ihre Schreie langsam leiser wurden. Und er schildert, wie ein SS-Mann ein Baby tötete, indem er es gegen einen Lkw schlug. Danach, so Gröning, habe er um seine Versetzung an die Front gebeten, die sei aber abgelehnt worden.
beihilfe Dass es nun 70 Jahre nach Kriegs-
ende überhaupt noch zu einem Prozess kommt, ist auch Nebenklägeranwalt Thomas Walther zu verdanken, der als Ermittler in der zentralen Stelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen schon das Verfahren gegen John Demjanjuk mitangeschoben hatte. Seit dem Demjanjuk-Urteil von 2011 gilt der Umstand, dass jemand durch seinen Dienst die KZ-Maschinerie am Laufen hielt, als Beihilfe zum Mord.
Für Hedy Bohm, Eva Pusztai-Fahidi und die anderen Nebenkläger geht es um anderes. Sie hoffen, dass der Prozess hilft, »solche Gräuel für diese Generation und für kommende zu verhindern«. Auf die Frage, ob es ihr auch bei der Verarbeitung der eigenen traumatischen Vergangenheit helfen könne, antwortet die zierliche Dame aus Toronto: »Fragen Sie mich das in einem Jahr noch einmal.« (mit epd)