Sie gilt als eine Vorkämpferin für die Gleichberechtigung und Anwältin für Frauenrechte: Erna Scheffler (1893–1983), die erste Richterin am Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, im Amt zwischen 1951 und 1963. Besonders setzte sie sich für die rechtliche Umsetzung von Artikel 3, Absatz 2 des Grundgesetzes ein, in dem es heißt »Männer und Frauen sind gleichberechtigt«.
Vor 125 Jahren, am 21. September 1893, wurde die Juristin in Breslau als Erna Friedenthal geboren, Tochter eines jüdischen Vaters und einer protestantischen Mutter. Dass gleiche Rechte für Frauen keinesfalls selbstverständlich sind, hatte sie am eigenen Leib erfahren. Nachdem ihr Vater, Besitzer einer Ölmühle, gestorben war, konnte der Nachlass nicht von ihrer Mutter übernommen werden, sondern musste von Vormund und Testamentsvollstrecker geregelt werden.
Nach ihrer eigenen ersten Heirat 1916 mit dem Juristen Fritz Haslacher empörte sie sich, dass die Bank nicht mehr nur ihre Unterschrift forderte, sondern auch die Zustimmung ihres Mannes.
Wandel Scheffler, die 1983 im Alter von fast 90 Jahren in London starb, habe in ihrem eigenen Lebensweg den »Wandel der Rechtsstellung der Frau im 20. Jahrhundert« mitvollzogen, schrieb die Historikerin Barbara Guttmann: »Von der rechtlichen Unmündigkeit der Ehefrau und beruflichen Zulassungsbeschränkungen für Frauen bis hin zur – zumindest auf dem Papier garantierten – völligen Gleichberechtigung.«
Ihr Abitur macht Scheffler als Externe an einem Knabengymnasium und studierte Jura in Heidelberg, München und Berlin. 1914 promoviert sie. Ab 1922 dürfen Frauen dann auch Staatsexamina ablegen. Von 1925 an arbeitet die Mutter einer Tochter in Berlin als Rechtsanwältin. Sie wird geschieden.
1933 zwingen die Nationalsozialisten Scheffler, die »Halbjüdin«, ihr Amt als Amtsgerichtsrätin in Berlin-Mitte niederzulegen. Sie darf auch nicht mehr als Rechtsanwältin arbeiten. Ihren neuen Lebensgefährten, den Juristen Georg Scheffler, darf sie erst nach dem Krieg heiraten.
Während des Zweiten Weltkriegs versteckt sie sich eine Zeit lang in einer Berliner Laubenkolonie. Danach kehrt sie in den Justizdienst in Berlin zurück, bald als Vorsitzende Richterin am Landgericht.
Rechtsungleichheit Für Aufsehen und viel Beifall sorgt auf dem Deutschen Juristentag 1950 ihre Rede über »Die Anpassung der Gesetze an die Forderungen des Grundgesetzes«. Scheffler betont die grundgesetzlich festgeschriebene Gleichberechtigung der Geschlechter: »Die reale, körperliche, seelische und gesellschaftliche Verschiedenheit zwischen Mann und Frau führt rechtslogisch ebenso wenig zu einer Rechtsungleichheit wie Ungleichheit nach Glauben, Herkunft, Rasse und Berufsstand.«
Sie fordert eine Reform des seit 1900 gültigen Bürgerlichen Gesetzbuchs. Als verfassungswidrig bezeichnet sie etwa das Staatsangehörigkeitsrecht, die »Zölibatsklausel« für Beamtinnen und die Ungleichheit in der Hinterbliebenenversorgung. Sie kämpft für die Gleichberechtigung im Steuerrecht und im Familienrecht und setzt sich für die Freiheit der Namenswahl, das gemeinsame gleichberechtigte Elternrecht und den Güterstand der Zugewinngemeinschaft ein.
20 Jahre später schrieb sie rückblickend: »Dieser Frankfurter Juristentag wird mir als Wahrzeichen der Wandlung unvergesslich bleiben. Noch einmal wurden in der Diskussion alle Argumente gegen die Gleichordnung der Frauen aufgewärmt – aber sie hatten keine Kraft mehr.« Diese Rede empfahl sie auch für das Bundesverfassungsgericht, dem sie ab 1951 zwölf Jahre lang angehört – als einzige Frau inmitten des Kollegiums von zunächst 24, dann 20 Bundesverfassungsrichtern.
familienrecht Beim höchsten deutschen Gericht übernahm die wegen ihrer Körpergröße von 1,58 Meter auch »Klein Erna« genannte Richterin die Rolle der Antreiberin im Familienrecht. Scheffler sei zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort gewesen, sagt die Präsidentin des Deutschen Juristinnenbundes, Maria Wersig.
Der »brillanten Juristin« sei es darum gegangen, die gleichen Rechte und die gleichen Chancen für Frauen zu schaffen. Scheffler sei nicht nur eine Frauenrechtlerin, sondern auch eine Feministin gewesen, auch wenn sie sich selbst vielleicht nicht als solche bezeichnet hätte.
Beim Elternrecht gelang 1959 der Durchbruch. Bis dahin hatten die Väter bei Differenzen in der Kindererziehung das letzte Wort. Dann entschied das Bundesverfassungsgericht, dass dieser »väterliche Stichentscheid« verfassungswidrig ist. Verkündet wurde das Urteil im Juli 1959 von Erna Scheffler – »mit einem Lächeln«, wie die »Frankfurter Allgemeine Zeitung« damals schrieb.
Erna Scheffler im Interview mit dem Südwestrundfunk (SWR) in den 70er-Jahren über die Umsetzung des Artikels 3 Absatz 2 des Grundgesetzes:
www.swr.de/swraktuell/bw/karlsruhe/erna-scheffler-1893-1983/-/id=1572/did=17371500/nid=1572/2136gx/index.html