Dieses Jahr sollte der Aachener Friedenspreis auf Vorschlag des Bundestagsabgeordneten Andrej Hunko (Die Linke) an den ukrainischen Journalisten Ruslan Kotsaba gehen. Nach dem Bekanntwerden von antisemitischen Äußerungen Kotsabas vergangene Woche und einigem Hin und Her will der Verein nach dem Willen des Vorstands diese Entscheidung nun wieder zurücknehmen. Entschieden ist die Sache damit noch nicht. Was die Mitgliederversammlung entscheiden wird, ist offen.
Der Aachener Friedenspreis, der als Gegenspieler des in Aachen von der Karlspreisgesellschaft vergebenen Karlspreises ins Leben gerufen wurde, will Personen und Organisationen auszeichnen, die sich in besonderer Weise für den Frieden einsetzen.
Dabei hat er in der Vergangenheit schon manchmal voll danebengelegen: 1998 erhielt den Preis der verstorbene Walter Hermann für die »Kölner Klagemauer«, die später vor allem antiisraelische und antisemitische Hetze verbreitete; 2008 erhielt Mitri Raheb den Preis, ein lutherischer Pastor, der zu den Unterzeichnern des Kairos-Palästina-Dokuments gehört, das Israel als Apartheidstaat diffamiert und in einer enterbungstheologischen Sprache die theologische Beziehung zwischen Volk und Land Israel auflöst.
Nach einigem Hin und Her will der Verein die Preisvergabe wieder zurücknehmen.
MUT? Die diesjährige Preisvergabe an Kotsaba begründete der Aachener Verein damit, dass Kotsaba den Mut gezeigt habe, »als Einzelner gegen den Krieg im eigenen Land und für friedliche Lösungen einzutreten und dafür auch schwere persönliche Nachteile bis zu Gefängnis und persönliche Bedrohungen in Kauf zu nehmen«. Ob der Medienheld des russischen Staatsfernsehens tatsächlich ein Friedensaktivist ist, ist mehr als umstritten. Der ukrainische Journalist Denis Trubetskoy kritisiert ihn beispielsweise »wegen seiner Hauptmessage: Donbass könne auch separat von der Ukraine existieren«, was Russland in die Hände spielt.
Kotsaba wurde – und das geschah zu Unrecht – für seine publizistische Tätigkeit und seinen Aktivismus unter anderem für Vaterlandsverrat strafrechtlich verfolgt, aber schließlich von einem ukrainischen Berufungsgericht freigesprochen. Opfer von Unrecht und unverhältnismäßigen staatlichen Maßnahmen sind nicht automatisch preisverdächtig. Wem Unrecht geschieht, geschieht Unrecht, aber er hat nicht automatisch recht oder ist deshalb schon ein geistiges Vorbild.
Ruslan Kotsabas Aussagen sind klar und eindeutig antisemitisch.
Ein Tag nach der Bekanntgabe des Preisträgers tauchte ein Videozusammenschnitt mit verschiedenen antisemitischen Aussagen Kotsabas auf, die klar judenfeindlich sind. Er spricht in einem Chat in der Sprache der Nürnberger Rassegesetze von »Halbjuden«, spricht Ukrainern mit jüdischen Eltern die Zugehörigkeit zum ukrainischen Volk ab und versteigt sich in einem Video-Statement zu der Aussage, »die Juden« hätten Stalin und Hitler »gezüchtet« – der Holocaust sei die Strafe dafür gewesen.
Die Aussagen des Videos sind sehr nah an den Aussagen der Tätervolkrede des früheren CDU-Politikers und jetzigen AfD-Abgeordneten Martin Hohmann. Sie sind klar und eindeutig antisemitisch.
KONFRONTATION Als das Video bekannt wurde und der Aachener Friedenspreis damit konfrontiert wurde, sprach man zunächst von einer möglichen Fälschung, dann teilte die Pressesprecherin des Vereins dem Fernsehsender Deutsche Welle mit, der Journalist Kotsaba vermute dahinter den ukrainischen Geheimdienst. Der Druck auf den Verein im Netz und durch schriftliche Interventionen wuchs weiter.
Als das komplette, ungeschnittene Video aufgetaucht war, versuchte man, das Ruder in der Kommunikation herumzureißen: Man verbreitete auf Facebook eine Erklärung Hunkos und des designierten Preisträgers: »Die Übersetzung des Videos ist korrekt, und ich habe diese Aussagen 2011 gemacht«, bestätigt der designierte Preisträger und bittet um Verzeihung: »Ich habe durch meine Politisierung im Kontext des Krieges in der Ostukraine viele meiner Einstellungen überdacht und geändert. Dazu gehört auch die Aussage von 2011, die in nicht akzeptabler Weise den Juden Verantwortung für den Aufstieg des Faschismus in Deutschland und des Kommunismus in Osteuropa gibt.«
Seine fast rassebiologisch zu nennende Kategorisierung von jüdischen Ukrainern und Ukrainern mit einem jüdischen Elternteil (»Halbblütler«) reflektiert er darin nicht. Vielmehr versucht er, seine Verantwortung mit dem Verweis darauf, es handele sich um eine »für die Westukraine typische Sicht«, zu relativieren.
Ein Sinneswandel muss immer positiv bewertet werden – aber es bestehen weiterhin berechtigte Zweifel.
SINNESWANDEL Hunko hielt den Sinneswandel dennoch für glaubwürdig und befürwortete daher ein Festhalten an der Preisvergabe. Freilich: Ein Sinneswandel muss immer positiv bewertet werden. Aber an der Glaubwürdigkeit des Sinneswandels von Kotsaba bestehen angesichts seiner Kommunikationsstrategie berechtigte Zweifel. Das sah der Vorstand des Aachener Friedenspreises wohl auch so. Er empfiehlt der Mitgliederversammlung nun doch, die Entscheidung der Preisvergabe zu revidieren.
Das ist gut so! Antisemitismus ist nicht preiswürdig.
Volker Beck ist Lehrbeauftragter des Centrums für Religionswissenschaftliche Studien CERES der Ruhr-Universität Bochum.