Ost-West-Debatte

»Antisemitismus ist immer dabei«

Herr Botsch, nach Heidenau und Freital fragen sich viele: Ist Rassismus ein primär ostdeutsches Phänomen?
Nein, ist es nicht. Das Ausmaß an Rassismus ist in Ost und West etwa gleich, das lässt sich empirisch zeigen. Die Intensität der Gewalt und teilweise auch die Akzeptanz oder Ignoranz im lokalen Umfeld sind jedoch in den östlichen Ländern deutlich höher.

Welche Unterschiede gibt es noch?
Bedeutsame Unterschiede gibt es auch in der Gegenkultur, in der Bedeutung zivilgesellschaftlicher Organisationen. Allerdings wurden im Osten, etwa in Brandenburg, seit mehr als 20 Jahren Gegenstrategien entwickelt und Erfahrungen gesammelt, von denen der Westen etwas lernen kann.

Bemerkt man davon viel?
Ganz allgemein muss man sagen, dass es neben dem um sich greifenden Rassismus eine faszinierend große Bereitschaft zur Hilfe gibt. So groß war sie noch nie.

Aber was ist mit den Ausschreitungen im Osten? Kann es sein, dass es dort eine geringere Berührungsangst mit Rechtsextremen gibt? Dass man NPDler beispielsweise für respektable Lokalpolitiker hält?
Der NPD ist es tatsächlich gelungen, sich in einigen der neuen Bundesländer zu verankern. Aber Sie dürfen nicht übersehen, dass es auch in Westdeutschland Gegenden gibt, nicht nur im ländlichen Raum, in denen sich Rechtsextreme Akzeptanz verschaffen konnten.

Fehlt nicht im Osten eine ernst gemeinte Auseinandersetzung mit der Schoa?
Auch das ist komplizierter. Das Wissen über die Verbrechen, die an den »slawischen« Völkern verübt wurden, ist zum Beispiel größer als im Westen. Dort wiederum sind die Kenntnisse über die Ermordung der europäischen Juden, über die Schoa größer.

Spielt bei den aktuellen rassistischen Vorfällen auch der Antisemitismus eine Rolle?
Bei der NPD und ihrem Umfeld ist der Antisemitismus die treibende Kraft schlechthin. Die Flüchtlingsbewegungen gelten ihnen als Werk jüdischer, ausländischer Kräfte, die Deutschland zerstören wollen. Was rechte Bewegungen wie AfD oder Pegida angeht, stellt es sich etwas komplizierter dar: Deren Antisemitismus zeigt sich in Topoi wie denen vom »verratenen Volk«, von der »Lügenpresse«, die eine »Meinungsdiktatur« errichte, oder vom »christlichen Abendland«, das bedroht sei. Das gehört zum klassischen Antisemitismus, ist aber vielen, die sich dieser Begriffe bedienen, nicht bewusst. Die Akzeptanz antisemitischen Denkens ist aber in diesen Bewegungen deutlich höher als woanders.

Welche Bedeutung hat die Schoa bei diesem »unbewussten Antisemitismus«?
In der verbreiteten Schuld- und Erinnerungsabwehr zeigt sich das: »Wir lassen uns nichts mehr vorschreiben« oder »Man muss als Deutscher seine Interessen vertreten dürfen«. Die Schoa ist hier sehr präsent.

Mit dem Politikwissenschaftler der Universität Potsdam sprach Martin Krauß.

Extremismus

AfD trennt sich von Junger Alternative

Die AfD beschließt nach langer Debatte ihr Programm zur Bundestagswahl. Hitzig wird es aber erst bei einem anderen Punkt: Die Jugendorganisation der AfD soll an die kurze Leine

von Jörg Ratzsch  12.01.2025

Essay

Ritt ins Verderben

Gedanken eines österreichischen Juden zu einer möglichen Kanzlerschaft des Rechtsextremisten Herbert Kickl

von Vladimir Vertlib  12.01.2025 Aktualisiert

Militär

»Deutschland bleibt gern unsichtbar«

Der israelische Politikexperte Nir Levitan über die zunehmende Präsenz der deutschen Marine in Nahost

von Sabine Brandes  12.01.2025

Jüdische Journalisten

»Hochschulen dürfen kein rechtsfreier Raum werden«

Der Verband reagiert auf die Äußerungen von Bettina Völter, der Präsidentin der Alice-Salomon-Hochschule

 12.01.2025

Meinung

Düsseldorfs braunes Erbe

Beim Gedenken muss die Stadt konsequent sein

von Oded Horowitz  12.01.2025

Thüringen

KZ-Gedenkstätten prüfen Rückzug von der Plattform X 

Das von Elon Musk übernommene soziale Medium gefährde des Zusammenhalt demokratischer Gesellschaften

 11.01.2025

Riesa

Massive Proteste gegen AfD-Bundesparteitag 

Mehrere tausend Menschen sind seit dem frühen Samstagmorgen in der sächsischen Stadt gegen den AfD-Bundesparteitag auf die Straße gegangen

 11.01.2025

Nachruf

Keine halben Sachen

Die langjährige Israel-Korrespondentin der WELT, Christine Kensche, ist gestorben. Ein persönlicher Nachruf auf eine talentierte Reporterin und einen besonderen Menschen

von Silke Mülherr  10.01.2025

Meinung

Tiefpunkt für die Pressefreiheit

An der besetzten Alice Salomon Hochschule versuchte die Rektorin zusammen mit israelfeindlichen Aktivisten, die journalistische Berichterstattung zu verhindern

von Jörg Reichel  10.01.2025