Bundestag

Anti-BDS ohne Gesetz

Politiker wollen Israel-Boykotte politisch bekämpfen

von André Anchuelo  04.04.2016 17:23 Uhr

Gesetze helfen nicht gegen Antisemitismus, darüber herrscht Einigkeit im Bundestag: Anti-Israel-Demonstration im Juli 2014 in Berlin Foto: Marco Limberg

Politiker wollen Israel-Boykotte politisch bekämpfen

von André Anchuelo  04.04.2016 17:23 Uhr

Ohne Frage: BDS muss gestoppt werden. Es hat sich inzwischen zu einem Massenphänomen entwickelt, das sich immer weiter ausbreitet.» Es sind deutliche Worte, die Gitta Connemann zur Charakterisierung der antiisraelischen BDS-Bewegung – Boykott, Desinvestition, Sanktionen – findet. Gegenüber der Jüdischen Allgemeinen betont die CDU-Bundestagsabgeordnete, dass es bei BDS «ausschließlich um Juden» gehe. Denn «israelische Firmen in muslimischem Besitz» würden explizit ausgenommen. «Das ist Antisemitismus pur», so die stellvertretende Vorsitzende der Deutsch-Israelischen Parlamentariergruppe.

Kerstin Griese (SPD), ebenfalls stellvertretende Vorsitzende der Deutsch-Israelischen Parlamentariergruppe, warnt: «Die Aktionen der BDS-Bewegung sind gefährlich nahe am Antisemitismus». Ihre Partei trete hingegen «nachdrücklich dafür ein, den Austausch mit Israel in allen Feldern auszubauen – vom Handel über die Wissenschaft bis hin zum Jugendaustausch».

opposition Auch Abgeordnete der Opposition sprechen sich klar gegen BDS aus. Sven-Christian Kindler (Bündnis 90/ Die Grünen) erklärt: «BDS-Aktivisten fallen immer wieder durch antisemitische Vorfälle auf.» Seine Partei kritisiere diese Bewegung deshalb scharf und lehne «einen Boykott Israels als Instrument deutscher und europäischer Politik entschieden ab», so der haushaltspolitische Sprecher der Fraktion. Und die grüne Außenpolitikerin Marieluise Beck unterstreicht, dass «der Bundesvorstand von Bündnis 90/Die Grünen BDS deutlich ablehnt».

Petra Pau von der Linkspartei erklärt, Boykotte gegen israelische Waren liefen letztendlich «auf das unsägliche ›Kauft nicht bei Juden‹ der Nazis hinaus». Auch ihr Fraktionskollege Jan Korte, wie Connemann und Griese im Vorstand der Deutsch-Israelischen Parlamentariergruppe, sagt, dass ein «Boykott gegen Juden und israelische Waren inakzeptabel» ist. Das «sollte in jeder Kommune und in jeder staatlichen Behörde in der Bundesrepublik eine absolute Selbstverständlichkeit sein».

Ist es aber offenbar nicht. Das zeigte zum Beispiel die Entscheidung von Bayreuth, einen Toleranzpreis an die Organisation «Code Pink» zu verleihen (vgl. Jüdische Allgemeine vom 25. Februar). «Das kommunale Parlament einer deutschen Kommune entscheidet sich bewusst für die Auszeichnung einer Organisation, die der BDS-Bewegung bekennend nahesteht», beschreibt die CDU-Politikerin Connemann den Vorgang. «Das ist für mich erschreckend und inakzeptabel.»

gesetze In anderen Ländern wie Frankreich, den USA oder Großbritannien gibt es deutlichere Maßnahmen gegen BDS – von Resolutionen und Richtlinien bis hin zu Gesetzen. So beschloss im Februar die britische Regierung, kommunalen Behörden und Anstalten des öffentlichen Rechts zu verbieten, einzelne Länder oder Firmen zu boykottieren oder zu deren Boykott aufzurufen.

Deutsche Politiker stehen derartigen Maßnahmen eher ablehnend gegenüber. So hält etwa Petra Pau Gesetze gegen anti-israelische Boykottaufrufe «für unverhältnismäßig, sprich: überzogen». Jan Korte hält sie «für den falschen Weg» und will stattdessen mehr «in Aufklärung und Bildung investieren, soziale Ungleichheit bekämpfen und vor allem mehr Demokratie wagen».

Sozialdemokratin Griese hält die bestehende Gesetzeslage für ausreichend. Für öffentliche Aufträge gebe es bereits «sehr klar gefasste EU-, bundes- und landesrechtliche Regelungen, die meines Erachtens einen Boykott israelischer Produkte nicht zulassen», so Griese.

universitäten Abraham de Wolf vom Arbeitskreis jüdischer Sozialdemokraten glaubt ebenfalls, dass Anti-BDS-Gesetze «nicht zur deutschen Situation» passen. Mit Blick auf die Universitäten, in denen BDS und Israel-Boykotte am verbreitetsten sind, kritisiert de Wolf die starke Rolle, die hierzulande die Allgemeinen Studentenausschüsse spielen. «Ein AStA kann beschließen, was er will, da gibt es seit Jahrzehnten eine völlige Narrenfreiheit.» Es gebe deutsche Universitäten, die inoffiziell zwar, aber faktisch bereits heute Israel boykottieren, indem sie schlicht nie an dortigen Konferenzen teilnehmen. «Das kann man aber nicht mit einem Gesetz bekämpfen, sondern nur durch eine offene Debatte.» Also fordert de Wolf offizielle Partnerschaften von deutschen und israelischen Universitäten.

Die Christdemokratin Connemann hält ein Anti-BDS-Gesetz für «schwierig», ein «gesetzliches Verbot alleine von BDS dürfte meines Erachtens nicht verfassungskonform sein». Sie verweist stattdessen auf «den Straftatbestand der Volksverhetzung, den andere Länder nicht kennen». Wohlwollend betrachtet sie das Vorgehen Londons: «Ich finde es lohnenswert, eine Vorschrift für Kommunen und staatliche Un- ternehmen ähnlich der britischen Herangehensweise, die diesen im Sinne der Neutralitätsverpflichtung einen Boykott verbietet, zu prüfen.»

Auch die frühere CDU-Bundestagsabgeordnete Hildegard Müller, die heute unter anderem Vizepräsidentin der Deutsch-Israelischen Handelskammer ist, wünscht sich ein konsequenteres Vorgehen. Sie will der «diskriminierenden und damit friedensfeindlichen» BDS-Bewegung durch eine «Erweiterung bereits bestehender Anti-Boykottregelungen im bundesdeutschen Außenwirtschaftsrecht die rote Karte» zeigen.

Debatte

Darf man Israel kritisieren?

Eine Klarstellung von Rafael Seligmann

von Rafael Seligmann  21.11.2024

Medienberichte

Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck im Alter von 96 Jahren gestorben

In der rechsextremen Szene wird sie bewundert

 21.11.2024

Washington D.C.

US-Senat gegen Blockade einiger Waffenlieferungen an Israel

Eine Gruppe von Demokraten scheitert mit ihrem Vorstoß

 21.11.2024

Fachtagung

»Kulturelle Intifada«

Seit dem 7. Oktober ist es für jüdische Künstler sehr schwierig geworden. Damit beschäftigte sich jetzt eine Tagung

von Leticia Witte  20.11.2024

Russlands Krieg in der Ukraine

1000 Tage Krieg

Die Ukraine hat gerade ein bitteres Jubiläum begangen - 1000 Tage Krieg. Wie leben die Menschen dort, begleitet von so viel Tod und Zerstörung? Streiflichter von einem einzelnen Tag geben einen kleinen Einblick

von Illia Novikov  20.11.2024

Berlin

Prozess gegen Teilnehmer israelfeindlicher Uni-Besetzung eingestellt

Die Aktion an der Humboldt Universität bleibt auch wegen der dort verbreiteten Pro-Terror-Propaganda in Erinnerung

 20.11.2024

Meinung

Jung, jüdisch, widerständig

Seit dem 7. Oktober 2023 müssen sich junge Jüdinnen und Juden gegen eine Welle des Antisemitismus verteidigen

von Joshua Schultheis  20.11.2024

USA

Trump nominiert Juden für das Handelsministerium

Howard Lutnick ist Chef des New Yorker Finanzunternehmens Cantor Fitzgerald

von Andrej Sokolow  20.11.2024

Wien

IAEA: Iran will Uran-Produktion beschränken

Dabei hat das Mullah-Regime seinen Uran-Vorrat zuvor massiv aufgestockt

 20.11.2024