Anschlag in Solingen

»Rache für Muslime in Palästina«

Menschen legen auf Neumarkt in Gedenken an die Opfer der Messerattacke auf dem Solinger Stadtfest Blumen ab und zünden Kerzen an. Foto: picture alliance/dpa

Nach der Messerattacke von Solingen mit drei Toten hat nach Angaben der Generalstaatsanwaltschaft die Bundesanwaltschaft als oberste deutsche Anklagebehörde die Ermittlungen übernommen.

Am Abend hatte die Polizei im Zusammenhang mit dem Messerangriff einen Mann in einer Flüchtlingsunterkunft in der Stadt festgenommen. Tatzusammenhänge würden nun geprüft, sagte ein Polizeisprecher der Deutschen Presse-Agentur. Zuvor hatte die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) die Tat mit drei Toten und mehreren Verletzten für sich reklamiert.

Der unbekannte Täter hatte am Freitagabend auf einem Jubiläumsfest der Stadt Solingen im Bergischen Land offenbar willkürlich auf Umstehende eingestochen. Anschließend entkam er im Tumult und in der anfänglichen Panik.

Zwei Männer im Alter von 67 und 56 Jahren sowie eine 56 Jahre alte Frau starben. Acht Menschen wurden verletzt, vier davon schwer. Polizeiführer Thorsten Fleiß sagte, man gehe nach aktuellem Stand und nach Auswertung ersten Bildmaterials davon aus, dass es »ein sehr gezielter Angriff auf den Hals« der Opfer war.

Polizei stürmt Flüchtlingsunterkunft in Solingen

Nach der Festnahme am Abend sagte der Polizeisprecher, zu Personalien könne er noch nichts sagen. Die Polizei hatte zuvor die Flüchtlingsunterkunft im früheren Finanzamt von Solingen mit starken Kräften gestürmt. »Wir haben Hinweise erhalten, und aufgrund dessen führen wir gerade polizeiliche Maßnahmen durch«, sagte ein Polizeisprecher. Auch ein Spezialeinsatzkommando sei im Einsatz. Der Bereich werde von einer Hundertschaft abgesperrt. 

Islamischer Staat: »Rache für Muslime in Palästina«

Der IS reklamierte die Tat für sich. In einer Mitteilung beim IS-Sprachrohr Amak hieß es, der Angreifer sei IS-Mitglied gewesen und habe die Attacke aus »Rache für Muslime in Palästina und anderswo« verübt. Der Angriff habe einer »Gruppe von Christen« gegolten.

Auch die Düsseldorfer Polizei erhielt nach eigenen Angaben ein Bekennerschreiben des IS. Jetzt müsse geprüft werden, ob dieses Schreiben echt sei, sagte ein Polizeisprecher. Aus Ermittlerkreisen wurde darauf hingewiesen, dass der IS in der Vergangenheit öfter eine Tat für sich reklamiert habe, ohne dass es für eine wirkliche Zusammenarbeit mit dem Täter belastbare Hinweise gegeben habe. 

Mutmaßlich bezieht sich der IS mit »Palästina« auf den Krieg im Gazastreifen zwischen Israel und der islamistischen Terrororganisation Hamas. Weder der IS noch die Terrororganisation Al-Kaida haben Bündnisse mit der Hamas.

Die Gefahren durch Terrorismus und Radikalisierung in der islamischen Welt sind Beobachtern zufolge durch den Krieg in Gaza aber gestiegen. Deutschland ist neben den USA einer der wichtigsten Verbündeten Israels und auch einer der wichtigsten Waffenlieferanten.

Staatsanwaltschaft: Terroristisch motivierte Tat nicht ausgeschlossen

Zu einem möglichen Motiv hatte der Leitende Oberstaatsanwalt Markus Caspers am Nachmittag bei einer Pressekonferenz in Wuppertal gesagt: »Eine Motivlage konnten wir bisher auch nicht erkennen, wir gehen aber nach den Gesamtumständen davon aus, dass der Anfangsverdacht einer terroristisch motivierten Tat nicht ausgeschlossen werden kann.« 

Sollten sich die Hinweise auf eine terroristische Straftat verdichten, komme eine Übernahme des Falles durch den Generalbundesanwalt in Betracht. Ermittelt wird wegen des Verdachts des Mordes in drei Fällen und des versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in weiteren acht Fällen, wie Caspers sagte. Die Polizei geht bislang von einem Einzeltäter aus. 

Gegen 15-Jährigen steht die Nichtanzeige einer geplanten Straftat im Raum

Meldungen, wonach die Tatwaffe bereits gefunden worden sei, bestätigte Fleiß nicht. Man habe mehrere Messer sichergestellt, »die wir jetzt einzeln untersuchen werden«. So solle geklärt werden, welches der Tat zuzuordnen sei. Viele Details, etwa zu den Messern oder zum Ablauf der Tat, blieben aus ermittlungstaktischen Gründen unbeantwortet. 

Bereits festgenommen wurde ein 15 Jahre alter Jugendlicher, den die Polizei aber nicht für den Täter hält. Als möglicher Vorwurf gegen ihn steht die Nichtanzeige geplanter Straftaten im Raum. »Nach vorliegenden Zeugenaussagen soll eine bislang unbekannte Person kurz vor dem Angriff mit dem Jugendlichen über Absichten gesprochen haben, die zur Tatausführung passen würden«, sagte Caspers.

Die Notrufe gingen um 21.37 Uhr bei der Polizei ein

Fleiß schilderte, dass am Freitagabend um 21.37 Uhr mehrere Notrufe bei der Leitstelle des Polizeipräsidiums Wuppertal eingegangen seien. Ein Mann habe bei der 650-Jahr-Feier Solingens - dem »Festival der Vielfalt« - gezielt auf Menschen auf dem Fest eingestochen, habe es geheißen. 

Deutschlandweit löste die Tat von Solingen große Betroffenheit aus. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sprach von einem »furchtbaren Verbrechen«. »Wir dürfen so etwas in unserer Gesellschaft nicht akzeptieren und uns niemals damit abfinden. Mit der ganzen Härte des Gesetzes muss hier vorgegangen werden«, sagte der SPD-Politiker bei einem Termin im brandenburgischen Stahnsdorf.

Faeser kündigte erst kürzlich Verschärfung des Waffenrechts an

Über das Hinweisportal der Polizei können Zeugen des Geschehens Handyfotos und Videos hochladen (www.nrw.hinweisportal.de). Die Stadt Solingen wiederum richtete für Bürger eine Hotline für Fragen nach Vermissten ein (0212 - 290-2000). Bei der Polizei hätten sich Anfragen besorgter Angehöriger gehäuft, hieß es.

Bundesjustizminister Marco Buschmann kündigte Beratungen über das Waffenrecht für Messer an. »Wir werden nun in der Bundesregierung darüber beraten, wie wir den Kampf gegen diese Art der Messer-Kriminalität weiter voranbringen«, sagte der FDP-Politiker der »Bild am Sonntag«. 

Bislang hat die FDP die Vorschläge von Innenministerin Nancy Faeser (SPD) zu schärferen Verboten abgelehnt. Die SPD verlangt eine deutliche Verschärfung der Gesetze. In der Öffentlichkeit sollen Messer demnach nur noch bis zu einer Klingenlänge von sechs Zentimetern statt bisher zwölf Zentimetern mitgeführt werden dürfen. Für gefährliche Springmesser soll es ein generelles Umgangsverbot geben. dpa

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