Interview

»Annalena Baerbock steht an der Seite Israels«

Robert Habeck über die Kritik in der jüdischen Gemeinschaft an der grünen Außenministerin, Verzögerungen bei Waffenlieferungen an Israel und wachsenden Antisemitismus in Deutschland

von Joshua Schultheis, Philipp Peyman Engel  12.02.2025 12:00 Uhr

»Antisemitismus ist die Schande dieses Landes und zwar jeglicher – von rechts, von links, muslimischer, christlicher«: Robert Habeck, Kanzlerkandidat von Bündnis 90/Die Grünen Foto: Marco Limberg

Robert Habeck über die Kritik in der jüdischen Gemeinschaft an der grünen Außenministerin, Verzögerungen bei Waffenlieferungen an Israel und wachsenden Antisemitismus in Deutschland

von Joshua Schultheis, Philipp Peyman Engel  12.02.2025 12:00 Uhr

Herr Habeck, Sie haben kurz nach dem 7. Oktober 2023 ein Video veröffentlicht, in dem Sie muslimischen sowie linken Antisemitismus verurteilen, und betonten, dass Israels Sicherheit deutsche Staatsräson ist. Stehen Sie nach wie vor zu allem, was Sie in dem Video gesagt haben?
Ja, das tue ich. Leider hat der Antisemitismus danach hierzulande noch zugenommen. Deswegen gilt weiter, was ich sagte.

Ist Ihre Haltung beim Thema Antisemitismus repräsentativ für Ihre ganze Partei?
Ja. Die Grünen haben bei dem Thema eine sehr klare Position.

Sie zeichnen in dem Video ein dramatisches Bild: 80 Jahre nach dem Holocaust hätten Jüdinnen und Juden wieder Angst, in Deutschland ihre Religion offen zu leben. 16 Monate später ist die Situation nicht besser geworden.
Sie ist schlimmer geworden. Bestimmte Stadtteile oder Straßen können faktisch nicht mehr betreten werden, wenn man eine Kippa oder einen Davidstern trägt. Ich kenne viele Geschichten von jüdischen Freundinnen oder Freunden, die die Symbole ihres Glaubens verstecken und sich nicht mehr trauen, zu bestimmten Veranstaltungen zu gehen.

Haben Sie den Eindruck, dass Sie persönlich und Ihre Partei auf diese Situation der jüdischen Gemeinschaft seitdem eine adäquate Antwort gefunden haben?
Wenn der Antisemitismus in Deutschland stark ist, dann ist natürlich bislang keine Antwort – von niemandem – adäquat. Jüdinnen und Juden sollten sich nirgendwo auf der Welt rechtfertigen oder gar verstecken müssen, für Deutschland gilt das allemal. Dass Synagogen und jüdische Schulen Polizeischutz brauchen, beweist, dass wir hier ein Problem haben. Da, wo wir als Grüne politischen Einfluss geltend machen konnten – im Diskurs, der polizeilichen Arbeit und der Unterstützung jüdischer Einrichtungen –, haben wir das getan.

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Seit dem 7. Oktober ist vor allem der muslimische Antisemitismus in den öffentlichen Fokus geraten. Wurde das Problem zu lange verharmlost?
»Verharmlost« ist vielleicht nicht das richtige Wort. Er ist nicht deutlich genug als Problem und als Herausforderung benannt und angenommen worden. Vertreter von muslimischen Verbänden sagen klar, dass Toleranz gegenüber Antisemitismus nicht geht. Sie gestehen aber auch ein, dass Antisemitismus wegen politischer und kultureller Normen in den Herkunftsländern von vielen muslimischen Geflüchteten ein Problem ist. Es gibt da einen strukturell verankerten Antisemitismus, der sich aus der Ablehnung des Staates Israels speist. Die Frage ist, wie wir als Gesellschaft damit umgehen.

Und wie?
Wir müssen an die Schulen und in die Vereine, zu den Menschen. Wir müssen dafür sorgen, dass eine aktive Aneignung der Werte stattfindet, die unser Grundgesetz und unsere Republik tragen. Ein Beispiel dafür hat mich besonders berührt: Ich habe neulich ein Jugendzentrum in Königs Wusterhausen außerhalb Berlins besucht, das einmal im Jahr einen KZ-Gedenkstättenbesuch macht. Dort fahren Jugendliche mit teilweise rechtsradikaler Gesinnung mit, aber auch welche mit muslimischem Hintergrund, die das Existenzrecht Israels ablehnen. Die Erzieher erzählten mir: Sie alle hat der Besuch in der Gedenkstätte berührt und verändert. Solche Fahrten sollten wir allen Jugendlichen garantieren und Programme dieser Art hochfahren.

Sie treten sehr deutlich und glaubwürdig gegen Antisemitismus ein. Gleichzeitig gibt es in großen Teilen der jüdischen Gemeinschaft ein Misstrauen gegen Ihre Partei. Wie erklären Sie sich diese Diskrepanz?
Das müssen Sie mir erklären. Denn die Grünen sind glasklar: Antisemitismus ist die Schande dieses Landes und gehört mit allen Mitteln bekämpft. Und zwar jeglicher Antisemitismus – von rechts, von links, muslimischer, christlicher. Da können sich die Jüdinnen und Juden in Deutschland auf uns verlassen.

Machen wir es konkreter: Unter der Ägide Ihrer Parteifreundin, der Kulturstaatsministerin Claudia Roth, wurde 2022 die Documenta in Kassel trotz zahlreicher vorheriger Warnungen zu antisemitischen Festspielen. Die Warnungen wurden komplett ignoriert. So etwas hinterlässt Spuren in der jüdischen Gemeinschaft.
Auf der Documenta wurden antisemitische Kunstwerke ausgestellt, das war falsch, da gibt es keine Diskussion. Die Aufarbeitung war am Anfang stolpernd, hat dann aber ein gutes Ende gefunden.

Nicht nur der Zentralrat der Juden bewertet auch die Aufarbeitung als katastrophal …
Ich denke, dass mit der neuen Kuratorin Naomi Beckwith ein guter Weg gefunden wurde. Sie hat klar gesagt, dass es in ihrer Ausstellung keinen Antisemitismus geben wird. Aus der letzten Documenta kann man im Übrigen nicht ableiten, dass Claudia Roth anfällig für Antisemitismus sei. Sie steht ohne jeden Zweifel an der Seite jüdischen Lebens und gegen Antisemitismus.

»Es gibt in Teilen der Linken die Idee, Israel sei ein koloniales Projekt, die aus meiner Sicht völlig falsch ist.«

Aber doch offensichtlich nicht beim Antisemitismus aus dem globalen Süden.
Es gibt in Teilen der Linken die Idee, Israel sei ein koloniales Projekt, die aus meiner Sicht völlig falsch ist. Das ist aber nicht die Haltung der Grünen und nicht die Haltung von Claudia Roth. Es gibt große Entschiedenheit, gegen Antisemitismus vorzugehen.

Sie betonen immer wieder nicht nur die deutsche Verantwortung gegenüber Jüdinnen und Juden, sondern auch gegenüber dem jüdischen Staat. Wie ist das damit vereinbar, dass es ab Januar de facto monatelang ein Waffenembargo der Bundesregierung gegen Israel gegeben hat? Die Vorbehalte sollen insbesondere aus Ihrem Ministerium und dem Ihrer Parteifreundin Annalena Baerbock gekommen sein.
Es gab kein Waffenembargo. Es gilt immer, dass alle Prüfungen im Einzelfall erfolgen. Die Bundesregierung macht es sich bei Waffenlieferungen nie leicht. Und es wurde ja an Israel geliefert. Dafür wurde die Bundesregierung vor dem Hintergrund der Art der Kriegsführung in Gaza verklagt. Das müssen wir bei den Prüfungen immer mit bedenken. Und über die Art, wie der Krieg im Gaza geführt wird, gibt es ja nicht nur in Deutschland Diskussionen, auch in Israel selbst. Ich kenne Menschen, die in Israel auf den großen Demonstrationen gegen die Regierung Netanjahu waren, die eine andere Politik im Gazastreifen richtig gefunden hätten und bis heute der Regierung vorwerfen, dass sie zu lange die Geiseln nicht befreit hat. Auch meine Gespräche mit Geiselangehörigen sowie mit Vertretern der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland haben mir gezeigt, wie umstritten die israelische Politik unter ihnen ist.

In Israel war die Zustimmung zum Krieg gegen die Hamas lange Zeit quer durch alle Lager überwältigend.
Das stimmt. Und um hier klar zu sein: Israel hat selbstverständlich das Recht, sich zu verteidigen und seine Bevölkerung zu schützen. Die furchtbaren, widerwärtigen Morde und die Geiselnahmen durch die Hamas waren ein Angriff auf Israel, der durch nichts, aber auch gar nichts zu rechtfertigen ist. Die Hamas trägt die Verantwortung für diesen Angriff und diesen Krieg, und sie hätte ihn sofort beenden müssen, indem sie die Waffen niederlegt. Dennoch hat Israel mit seiner Art der Kriegsführung an vielen Stellen Anlass zur Sorge gegeben – das große Leid der Zivilbevölkerung, die vielen Toten und Verletzten. Und Waffenlieferungen sind für die Bundesregierung, wie gesagt, immer Einzelfallentscheidungen. Wir müssen sichergehen, dass die Waffen nicht so eingesetzt werden, dass gegen humanitäres Völkerrecht verstoßen wird. Im Falle Israels haben einige Prüfungen länger gedauert. Aber noch einmal: Ein Waffenembargo hat es nie gegeben. Israel hat immer unsere Unterstützung zur Selbstverteidigung.

Sie gehen offenbar von Völkerrechtsbrüchen Israels aus. Waren diese Ihrer Einschätzung nach vereinzelt oder systematisch?
Das habe ich so nicht gesagt. Da, wo es Fragen gibt, ist es in Israels Interesse, es selbst aufzuklären. In letzter Instanz entscheiden diese Frage Gerichte.

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In Ihrem Video vom November 2023 benutzen Sie den Begriff der »Staatsräson« und sagen, »dass die Sicherheit Israels für uns als Staat notwendig ist«. Impliziert das nicht einen Vorrang von Israels Sicherheit vor dem Völkerrecht?
Sicherheit und Recht bedingen einander. Wenn Recht nicht mehr gilt, ist Unsicherheit Tür und Tor geöffnet. Die Menschen in Israel müssen in Sicherheit leben können. Und, das sage ich auch unseren israelischen Freunden und Partnern offen: Stabile Sicherheit wird es nur geben, wenn es eine nachhaltige Friedensperspektive hin zu einer Zwei-Staaten-Lösung gibt. Wenn wir anfangen, die internationalen Rechtsnormen aufzugeben, dann geben wir am Ende auch die Idee von Konfliktlösung durch Diplomatie auf.

In der jüdischen Gemeinschaft galten Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Claudia Roth lange Zeit als die unbeliebtesten Spitzenpolitiker. Die beiden wurden von Annalena Baerbock abgelöst, die in den vergangenen Monaten keine Gelegenheit ausgelassen hat, Israel einseitig an den Pranger zu stellen und eben nicht Israel im Kampf um seine Existenz zu unterstützen. Die Außenministerin hat Israelfeinde im Auswärtigen Amt zum Dinner empfangen und sich bei der UN bei israelfeindlichen Abstimmungen enthalten. Zudem sagte sie, Israel würde die Situation in Nahost durch Angriffe auf die Terrororganisation Hisbollah eskalieren. Die Liste ließe sich fortsetzen. Sollten Sie in einer künftigen Regierung Außenminister werden, würden Sie dann andere Akzente setzen?
Ich denke, die von Ihnen geschilderte Sicht auf die Außenministerin entspricht keineswegs der aller. Gerade erst haben Familien der israelischen Geiseln Annalena Baerbock für ihren persönlichen Einsatz gedankt. Und wer einmal international unterwegs war, weiß, wie solidarisch Annalena Baerbock an der Seite Israels steht – auch bei hartem Gegenwind. Die Existenz und die Sicherheit Israels sind ein Fundament. Und weil Israels Sicherheit so entscheidend ist, haben wir beide das getan, was man unter engen Freunden tut: ehrlich miteinander reden. Wir beide haben – wie die USA – versucht, auf die israelische Regierung einzuwirken, damit sie die notwendige Selbstverteidigung nicht so ausführt, dass danach ein Zusammenleben zwischen Palästinensern und Israelis unmöglich ist. Bis heute ist die Frage unbeantwortet, welche Perspektive es für den Gazastreifen gibt. Dass man im Rahmen des Völkerrechts hart gegen die Hamas vorgeht, ist unbestritten notwendig. Aber was werden die Kinder in Gaza, die jetzt ihre Eltern und Geschwister verloren haben, in zehn Jahren machen, wenn sie junge Erwachsene sind? Welche Perspektive haben sie? Wenn Annalena Baerbock darauf hinweist, dass man die Konsequenzen seiner Handlungen bedenken muss, dann rührt das aus tiefer Sorge um die Sicherheit Israels. Sie sorgt sich, wie der Frieden in der Region hergestellt und bewahrt werden kann und Israel nicht permanent durch generationsweise aufblühenden Terrorismus bedroht wird.

Mit dem Kanzlerkandidaten von Bündnis 90/Die Grünen sprachen Philipp Peyman Engel und Joshua Schultheis. Für die Interview-Reihe der Jüdischen Allgemeinen zur Bundestagswahl wurden alle relevanten demokratischen Parteien angefragt.

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