Initiative

Anlaufstellen für antisemitische Vorfälle geplant

Bundesregierung will Anfeindungen künftig auch unterhalb der Strafbarkeitsgrenze erfassen

 13.07.2018 10:44 Uhr

»Es darf in der Gesellschaft keine Gleichgültigkeit gegenüber antisemitischen Übergriffen herrschen«: Felix Klein Foto: Gregor Zielke

Bundesregierung will Anfeindungen künftig auch unterhalb der Strafbarkeitsgrenze erfassen

 13.07.2018 10:44 Uhr

Die Bundesregierung will in allen Groß- und Kreisstädten Anlaufstellen für antisemitische Vorfälle schaffen, die auch strafrechtlich nicht relevante Taten erfassen. »Es darf in der Gesellschaft keine Gleichgültigkeit gegenüber antisemitischen Übergriffen herrschen«, sagte der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, der in Düsseldorf erscheinenden »Rheinischen Post« (Freitag).

»Mein Ziel ist es, dass wir einen Überblick bekommen, wie viele antisemitische Vorfälle es unterhalb der Strafbarkeitsgrenze gibt – wie beispielsweise Pöbeleien, Schmierereien oder Anfeindungen«, erklärte er. Bislang sei wenig bekannt, in welchem Umfang diese Art von Antisemitismus in der Bevölkerung verbreitet sei.

System Klein sieht als Vorbild die 2015 gegründete Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Berlin (RIAS), die auch Anfeindungen in sozialen Netzwerken und E-Mails aufnimmt. Die geplanten Anlaufstellen sollen nach Kleins Worten über einen Bundesverband als Träger organisiert und durch Mittel des Familienministeriums finanziert werden. »Zuvor müssen wir Kriterien festlegen, was als antisemitischer Vorfall gilt«, sagte Klein. »Ich hoffe, dass das System bis Ende des Jahres anlaufen kann.«

Am Mittwoch war in Bonn ein Kippa tragender israelischer Professor von einem palästinensischstämmigen Mann angegriffen worden. Dabei soll der offenbar psychisch verwirrte 20-jährige Mann unter anderem »Kein Jude in Deutschland« gerufen haben. Als die von der Begleiterin des Angegriffenen alarmierte Polizei erschien, flüchtete der Angreifer.

Der Professor verfolgte ihn und wurde von der Polizei fälschlicherweise für den Täter gehalten. Da er den Aufforderungen der Polizei nicht nachkam, wurde er von den Polizisten überwältigt. Als sich der Wissenschaftler wehrte, schlugen ihm die Polizisten ins Gesicht.

Entschuldigung Erst nachdem die Begleiterin die Beamten über den Irrtum aufgeklärt hatte, konnte der eigentliche Tatverdächtige ermittelt und festgenommen werden. Der arabische Mann sei der Polizei wegen Gewalt- und Drogendelikten bereits bekannt, hieß es. Zum Tatzeitpunkt stand er nach Polizeiangaben offenbar unter dem Einfluss von Drogen.

Aufgrund »psychischer Auffälligkeiten« kam er in eine Fachklinik. Im Gespräch mit der Polizei hatte er seine antisemitischen Äußerungen wiederholt, sich ansonsten aber nicht zur Sache geäußert. Der Staatsschutz wurde in die weiteren Ermittlungen eingeschaltet.

Gegen die Beamten, die den Wissenschaftler bei dem Einsatz verletzten, wird nun wegen des Verdachts der Körperverletzung im Amt ermittelt. Aus Neutralitätsgründen übernahm das Polizeipräsidium Köln die Ermittlungen. Die Bonner Polizeipräsidentin Ursula Brohl-Sowa entschuldigte sich persönlich bei dem betroffenen Professor. »Es ist ein schreckliches und bedauerliches Missverständnis im Einsatzgeschehen, für das ich bei dem betroffenen Professor ausdrücklich um Entschuldigung gebeten habe. Wir werden genau prüfen, wie es zu dieser Situation kam, und alles Mögliche dafür tun, um solche Missverständnisse zukünftig vermeiden zu können«, sagte sie.

Sanktionen Der Antisemitismusbeauftragte Klein äußerte sich besorgt darüber, dass die Tat offenbar von einem Menschen ausgegangen sei, der schon lange in Deutschland lebe. Er erwarte, dass gegen den mutmaßlichen Täter rasch ein Verfahren eingeleitet wird.

»Wir müssen zeigen, dass jede Form von Antisemitismus in Deutschland sofort sanktioniert wird«, sagte Klein der Zeitung. Er begrüße es, dass sich die Polizei für die Verwechslung von Opfer und Täter entschuldigt hat.

NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) bezeichnete den Vorfall in der in Essen erscheinenden »Westdeutschen Allgemeinen Zeitung« (Freitag) als »abscheulich«. Er kündigte eine harte Linie an: »Wir werden nicht zulassen, dass in Deutschland wieder Hatz auf Juden gemacht wird.«

Zugleich entschuldigte sich der Minister wegen des Umgangs der Polizei mit dem Betroffenen: »Es wird neutral ermittelt, ob in diesem Fall angemessen gehandelt wurde.« epd

Porträt

Der Sinneswandler

Derviş Hizarcı ist Muslim und kämpft gegen Judenhass in der Community. Eine Begegnung in Berlin

von Canan Topçu  14.12.2024

Weiden

Muslimischer Prediger rief zur Tötung von Juden auf – Bewährungsstrafe

Neben der Freiheitsstrafe auf Bewährung wurde dem Mann eine Geldstrafe auferlegt

 13.12.2024

Israel

TV-Bericht: Netanjahu wurde vor dem 7. Oktober von zwei Seiten vor Angriff gewarnt

Im Krankenhaus soll der Ministerpräsident auf die Bedrohung angesprochen worden sein. Sein Büro spricht von »Verleumdung und Lügen«

 13.12.2024

Nahost

Acht Hamas-Mitglieder in Gaza getötet

Zu den Terroristen gehört ein Mann, der am Massaker vom 7. Oktober 2023 in Israel beteiligt war

 13.12.2024

Berlin/Jerusalem/Tel Aviv

60 Jahre diplomatische Beziehungen: Deutsch-israelischer Buchmesse-Pavillion abgesagt

Regierungsbeamte in Israel sind enttäuscht. Die Bundesregierung sieht die Sache anders

 13.12.2024 Aktualisiert

Meinung

Wenn Social Media zur Gefahr für die Demokratie wird

Politik und Plattformbetreiber müssen konsequent gegen Desinformation und Hetze vorgehen

von Anna Staroselski  12.12.2024

Berlin

Roth: Israelische Angriffe auf syrische Waffenlager verständlich

Israels Luftwaffe bombardiert seit dem Sturz des syrischen Machthabers Baschar al-Assad massiv militärische Einrichtungen in Syrien. Der SPD-Politiker zeigt dafür zum Teil Verständnis

 12.12.2024

Nach Eklat

Vatikan entfernt Jesus-Kind mit Keffiyeh

Nach tagelanger Kritik hat die katholische Kirche nun reagiert, auch wenn sie sich öffentlich nicht äußert

von Nils Kottmann  12.12.2024

Baden-Württemberg

Nach antisemitischen Anfeindungen: Innenminister will Pfarrer schützen

Ein evangelischer Pastor in Langenau bei Ulm wird seit Monaten wegen seiner Kritik an den Hamas-Massakern angefeindet

 12.12.2024