Nur wenige Stunden, nachdem die New York Times am vergangenen Donnerstag ein 105-seitiges Schreiben der UN zum israelischen Einsatz auf dem Flottillenschiff Mavi Marmara im Mai 2010 veröffentlicht hatte, wurde Gaby Levy, Israels Botschafter in Ankara, aufgefordert, das Land binnen einer Woche zu verlassen. Die Beziehungen der zwei Staaten spielen sich zurzeit auf drittrangiger Ebene ab. Zudem werfen sich beide Länder vor, Passagiere an ihren Flughäfen mit Fragen und endlosen Zusatzkontrollen zu malträtieren.
Die Krise zwischen Ankara und Jerusalem könnte bald auch Israels Verhältnis zu Amman oder Kairo belasten, ja sogar Vorreiter für einen Abbruch der diplomatischen Beziehungen sein, befürchtet Alon Liel, ehemaliger israelischer Botschafter in Ankara. »Falls sich das auf die Türkei beschränken lässt, ist das ein Wunder«, sagt Liel.
NATO Bei der Neuausrichtung ihrer Außenpolitik geht die Türkei geschickt vor: Am Tag, als die USA die Türkei aufforderten, ihre Beziehungen zu Israel zu entkrampfen, willigte Ankara ein, das Frühwarnsystem der NATO gegen Angriffe aus dem Iran auf türkischem Territorium zu stationieren.
Damit sollte dem Westen signalisiert werden, wie wichtig für ihn gute Beziehungen zu Ankara sind. Um sich im Nahen Osten besser zu positionieren, will Ministerpräsident Erdogan kommende Woche nach Ägypten reisen, um mit den dortigen neuen Machthabern einen Kooperationsvertrag zu unterzeichnen. Ein Abste- cher nach Gaza wird nicht ausgeschlossen.
Symptom für die neue Feindschaft zu Israel ist auch die türkische Ankündigung, den jüdischen Staat wegen seiner Blockade des Gazastreifens vor den Internationalen Gerichtshof zu bringen.
Israel zahlt für die Eiszeit im Verhältnis zur Türkei einen hohen wirtschaftlichen und militärischen Preis. Jerusalem verliert nicht nur einen der wichtigsten Verbündeten im Nahen Osten. Die israelische Luftwaffe darf weder im türkischen Luftraum üben, noch den Stützpunkt Injerlik in der Südtürkei benützen.
Schaden Groß ist auch der wirtschaftliche Schaden: Bis vor einigen Jahren war die Türkei in Tel Aviv mit drei Militärattachés vertreten – so intensiv war die Zusammenarbeit mit der Rüstungsindustrie. »Jetzt drohen Aufträge in Höhe von mehreren Hundert Millionen Dollar verloren zu gehen, weil Ankara nicht mehr mit der israelischen Rüstungsindustrie zusammenarbeiten will«, sagt der israelische Analyst Yohanan Ben-Jacov.
Doch selbst wenn Ankara wollte: Die Abkühlung veranlasst Israel dazu, strategisch wichtige Güter wie den Arrow oder Technologie für Kurzstreckenraketen nicht mehr an die Türkei zu liefern – aus Angst, dass sie in die Hände der Iraner fallen könnten. Auch zum Mullah-Regime sucht Ankara derzeit ein besseres Verhältnis.
Es könnte allerdings noch schlimmer kommen: zu einer militärischen Konfrontation, wenn Ankara die »freie Schifffahrt im östlichen Mittelmeer sichern« wird, wie es der türkische Außenminister formuliert hat. Diesen Satz interpretieren Beobachter als indirekte Drohung, gegen Israel mit militärischen Mitteln vorzugehen, sollte noch einmal ein türkisches Schiff von der israelischen Marine abgefangen werden.
Israel hingegen beruft sich auf die Bestätigung der UN, dass die Blockade des Gazastreifens rechtens sei. Doch die türkische Regierung hebt die im Bericht enthaltenen Vorwürfe hervor, die israelische Marine habe beim Einsatz gegen die Mavi Marmara, bei dem neun Menschen ums Leben gekommen waren, unverhältnismäßige Gewalt eingesetzt. Die Türkei sieht keinen Anlass, von ihrer Forderung abzurücken und erwartet von Israel eine Entschuldigung für die Militäraktion auf hoher See.
einlenken Mit einem solchen Schritt könnte Jerusalem, zumindest vordergründig, die Beziehungen wieder ins Lot rü-cken. Das beherrscht auch die außenpolitischen Diskussionen im Land: Außenminister Lieberman weigert sich, eine solche Entschuldigung auszusprechen.
Premier Netanjahu befürwortet zwar grundsätzlich ein Einlenken, fürchtet aber um die Koalition, falls er sich Lieberman widersetzt. Klar dafür sind auch hohe Zahal-Offiziere und Wirtschaftsführer. Denn sie wissen, was sie an ihren Freunden in Ankara hatten. Und haben könnten.