Vor einigen Jahren begab sich Pauline Baer de Pérignon auf die mühsame Suche nach den Gemälden ihres Urgroßvaters, dem in Deutschland geborenen französischen Bankier, Kunstsammler und Mäzen Jules Strauss. Kurz nach Beginn der deutschen Besatzung von Paris 1940 waren die Mitglieder der jüdischen Familie von der Gestapo aus ihrer Wohnung vertrieben worden. 1943 starb Strauss im Alter von 82 Jahren. Sein Schwiegersohn und andere Familienmitglieder waren da bereits nach Auschwitz deportiert worden. Seine Kunstsammlung hatten die Deutschen geraubt und die Bilder verkauft.
Restitution Auch 75 Jahre nach Kriegsende ist das Kapitel NS-Raubkunst noch nicht abgeschlossen. Eine europaweit einheitliche Handhabung von Restitutionsfällen gibt es nicht. Die Nachfahren jüdischer Eigentümer, denen Kunstwerke geraubt wurden, haben mit hohen bürokratischen und rechtlichen Hürden zu kämpfen, vor allem, wenn sie grenzüberschreitend ihre Ansprüche geltend machen.
Es wird geschätzt, dass während der Nazi-Zeit mehr als 600.000 Kunstwerke und andere Kulturgüter geraubt wurden. Zehntausende sind noch immer nicht den rechtmäßigen Eigentümern zurückgegeben worden. Seit dem Washingtoner Abkommen von 1998 wurden weniger als 2000 Stücke restituiert – nach Ansicht vieler Experten eine kläglich geringe Zahl.
Am Dienstag hielt der Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments deshalb eine Anhörung zu diesem Thema ab. In Brüssel schilderte Pauline Baer der Pérignon den Abgeordneten, wie sie zahlreiche Archive durchforstete, um ein ihrem Urgroßvater geraubtes Gemälde des französischen Malers Nicolas de Largillère nachzuspüren, und wie sie schließlich in einem deutschen Museum fündig wurde.
Uneinigkeit herrscht darüber, ob man nicht gleich eine neue EU-Agentur ins Leben rufen solle, die sich des Themas annimmt.
»Die Situation war kafkaesk,« so die 46-Jährige. »Ich wusste nicht, wer zuständig war; ich wusste nicht, wer was wann und wo entscheidet und an wen ich mich wenden musste.« Für das betreffende Museum sei es der erste Fall von Raubkunst gewesen. Erst über die Webseite LostArt.de habe sie mehr erfahren und schließlich nach langem Hin und Her das Largillère-Bild zurückerhalten. Auch bei einigen anderen Werken aus der Sammlung von Jules Strauss war sie erfolgreich.
Geholfen hat Baer auch, dass es in Frankreich und Deutschland nicht nur ein Restitutionsgesetz, sondern auch Anlaufstellen gibt, die den Erben der Opfer des Kunstraubs helfen, gestohlene Werke zurückzuerhalten.
Das sei vor allem in anderen EU-Staaten leider nicht der Fall, so die Anwältin und Raubkunstexpertin Agnes Peresztegi, die auch der sogenannten Gurlitt-Kommission in Deutschland angehörte. Sie sieht bei der Provenienzforschung noch großen Nachholbedarf. »Museen sollten nicht nur die Kunstwerke ausstellen, sie müssen auch dokumentieren, was mit ihnen passiert ist«, so Peresztegi.
Transaktionen Die CDU-Europaabgeordnete Marion Walsmann ist ähnlicher Meinung. »Wir sind hier zusammengekommen, um mit Nachdruck die Forschung in der gesamten Europäischen Union einzufordern und zu fördern«, erklärte die frühere Thüringer Justiz- und Finanzministerin im Anschluss an die Anhörung. Sie forderte die neue Europäische Kommission auf, das notwendige Geld zur Verfügung zu stellen und das Thema Raubkunst bei der Kulturkommissarin Mariya Gabriel anzusiedeln.
In einer vom Europaparlament im Januar verabschiedeten Entschließung wird außerdem angeregt, eine für alle EU-Staaten einheitliche gesetzliche Grundlage zu schaffen, was den Handel mit Raubkunst und anderen gestohlenen Kulturgütern angeht.
»Museen sollten nicht nur die Kunstwerke ausstellen, sie müssen auch dokumentieren, was mit ihnen passiert ist«, betont Peresztegi.
Dies würde allerdings wohl nur für künftige Transaktionen gelten. Die rechtlichen Kompetenzen der EU in dieser Frage sind beschränkt, und es ist fraglich, ob die Mitgliedsländer im Bereich der Raubkunst auf ihr Gesetzgebungsrecht verzichten würden.
Bei der finanziellen Förderung der Provenienzforschung ist man in Brüssel aber schon einen Schritt weiter: Geld für die Digitalisierung von Archiven und die bessere europaweite Vernetzung von Datenbanken ist in den neuen EU-Haushalt bereits eingestellt.
Uneinigkeit herrscht dagegen darüber, ob man nicht gleich eine neue EU-Agentur ins Leben rufen solle, die sich des Themas annimmt. Wesley Fisher, Raubkunstexperte der Jewish Claims Conference, hält dies für sinnvoll. Der französische Europaabgeordnete Gilles Lebreton hingegen ist skeptisch: »Es kann doch nicht sein, dass wir im Rechtsausschuss immer neue EU-Behörden gründen.« Es gebe davon schließlich schon genug, so Lebreton.