Am vergangenen Freitag hat der Deutsche Bundestag einem er-
höhten Zuschuss von Bundesmitteln zugunsten des Zentralrats der Juden einstimmig zugestimmt. Mit dieser Entscheidung schlossen sich Regierung und Parlament dem Wunsch des Zentralrats an, seine Tätigkeit auf eine solidere Grundlage zu stellen. Zentralratspräsident Dieter Graumann hat dieses Ergebnis vor den Vertretern der diesjährigen Ratsversammlung in Weimar völlig zu Recht als den größten Verhandlungserfolg in der Geschichte des Zentralrats und zugleich als Ergebnis seines harten persönlichen Einsatzes während der letzten zwölf Monate vorgestellt.
Der außergewöhnliche Beschluss zeigt: Den politischen Entscheidungsträgern der Bundesrepublik ist eine Festigung des jüdischen Lebens hierzulande besonders wichtig. Das, und nicht nur die Erhöhung der Finanzmittel, stellt eine wichtige Zusicherung für unsere Zukunft dar. Dafür gebühren dem Deutschen Bundestag und ganz besonders der Bundesregierung, an deren Spitze Bundeskanzlerin Angela Merkel, besonderer Dank und Anerkennung. Bemerkenswert ist außerdem, dass der Beschluss mit Zustimmung aller Bundestagsfraktionen gefasst wurde.
Bei aller Dankbarkeit und Genugtuung, die wir empfinden, ist dieser Erfolg für uns keine Ziel-, sondern eine Startlinie. So hat es Dieter Graumann auch eindrucksvoll in seinem Plädoyer für die Kompletterneuerung des Zentralrats dargestellt. Auf den Zentralrat warten viele neue oder ausbaubedürftige Aufgaben.
Effizienz Zudem ist der neue Etat des Zentralrats kein Brunnen, aus dem sich nach Belieben viel Wasser schöpfen lässt. Die Mittel müssen deshalb zielgerichtet, wohlüberlegt und effizient eingesetzt werden. Sie können nicht als alimentierende Haushaltszuschüsse an lokale Gemeinden und Einrichtungen weitergereicht werden – das wäre weder sinnvoll noch dem Geiste des Staatsvertrags entsprechend.
Vielmehr sind die Mittel für zweckgebundene Aktivitäten bestimmt: Aktivitäten, die der Zukunftssicherung unserer jüdischen Gemeinschaft dienen. Dass sämtliche Strömungen des Judentums in Deutschland dabei angemessene Berück-sichtigung finden, versteht sich von selbst.
Das bedeutet vor allem: eine Stärkung der jüdischen Infrastruktur. Die Ausbildung von Rabbinern, Kantoren und Religionslehrern hat ernorme Fortschritte gemacht, muss aber weiter expandieren. Die Festigung jüdischer Identität – besonders durch die Vermittlung unserer Religion – ist von größter Wichtigkeit.
Bildung Dazu müssen die vor Ort tätigen Rabbinerinnen und Rabbiner noch weiter unterstützt und die Gemeinden in die Lage versetzt werden, hier qualifiziertes Personal einzustellen. Jüdische Gemeinden, Kindergärten und Schulen brauchen dringend neue und bessere Unterrichtsmaterialien. Auch die Schaffung einer jüdischen Akademie nach dem Vorbild vergleichbarer Einrichtungen der christlichen Kirchen gehört zum Maßnahmenkatalog.
Eine weitere, entscheidend wichtige Aufgabe ist die konkrete Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen durch qualifiziertes Personal. Diese Jugendarbeit muss und wird von uns künftig noch stärker und professioneller als bisher gefördert werden.
Wobei gesagt werden muss, dass dies im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten auch bisher im Mittelpunkt der Arbeit der Zentralwohlfahrtsstelle und des Zentralrats stand. Die Förderung von Aktivitäten jüdischer Jugendorganisationen kann sicherlich noch ausgebaut werden.
Der neue Staatsvertrag bedeutet auch, dass Integrationsmaßnahmen zugunsten von Zuwanderern aus den Nachfolgerepubliken der ehemaligen Sowjetunion wieder verstärkt werden können. Zwar ist die Zuwanderung seit 2005 drastisch zurückgegangen, doch sind Tausende von Zuwanderern, die bereits in der Bundesrepublik leben, immer noch auf konkrete Maßnahmen wie Sprachkurse, Integrationskurse und Jobbörsen ihrer Gemeinden und Landesverbände angewiesen.
Heimat In den letzten Jahren mussten solche Angebote des Zentralrats – zu denen es oftmals keine Alternativen gibt – mangels finanzieller Möglichkeiten leider erheblich zurückgefahren werden. Die Bundesregierung hatte die dafür vorgesehenen Mittel in den letzten Jahren drastisch gekürzt. Jetzt haben wir eine Chance, diese Programme mit neuem Leben zu füllen. Das kann und soll auch jenen Juden, die sich bisher gegen die Mitgliedschaft in einer jüdischen Gemeinde entschieden haben, ein Gefühl von Verbundenheit und Heimat vermitteln.
Moderne Kommunikation, die Präsenz des Zentralrats in den neuen Medien, die politische – ja, auch aufklärerische – Arbeit des Zentralrats in die allgemeine Gesellschaft hinein sind ebenfalls verbesserungsbedürftig. Das verlangt angemessene personelle Ressourcen.
Insofern stellt der neue Staatsvertrag eine unmittelbare Herausforderung auch für den Zentralrat selbst dar. Wir alle – im Zentralrat wie im jüdischen Leben insgesamt – müssen versuchen, die sich uns nun bietenden Chancen mit Herz und Verstand zu nutzen. Packen wir es an!
Der Autor ist Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland.