Herr Lagodinsky, vor 20 Jahren kam der Euro in Umlauf. Viele Deutsche waren damals skeptisch angesichts der neuen Währung. Hat sich das geändert?
Das kann ich schwer beurteilen, man müsste sich die Umfragen ansehen. Aber natürlich ist der Euro Teil der Realität geworden – für alle Bürgerinnen und Bürger Europas. Während der Finanzkrise vor einigen Jahren haben wir gesehen, dass der Euro für Deutschland auch ein Machtmittel ist, nicht nur eine Wohltätigkeitsveranstaltung. Wir profitieren vom Binnenmarkt und der gemeinsamen Währung, insbesondere von den niedrigeren Transaktionskosten. Selbst wenn der Euro schwächelt, ist das nicht unbedingt schlecht für Deutschland, weil damit unsere Güter für den Weltmarkt günstiger werden.
Nun entstand ja die AfD vor einigen Jahren aus dem Wunsch heraus, Deutschland möge den Euro wieder abschaffen.
Das wäre für ein Land wie unseres völlig kontraproduktiv. Wir hätten fast nur Nachteile, denn damit würden unsere Exportgüter viel teurer.
Aber war der Euro nicht eine Art Geburtshelfer für den Rechtspopulismus in Deutschland, für europaskeptische bis rechtsradikale Bewegungen?
Die Geburtsstunde der AfD war nicht die Einführung des Euro, sondern die Eurokrise Jahre später. Es ging dabei um die Frage, welche Rolle Deutschland bereit ist zu übernehmen, wenn es irgendwo in Europa finanzielle Turbulenzen gibt. Sehen wir uns lieber als Opfer der anderen? So stellen es Rechtspopulisten gerne dar. Oder machen wir uns bewusst, wie sehr wir Deutsche von der EU profitieren? Letzteres wird gern ausgeblendet, Ersteres überhöht. Und das ist die eigentliche Grundlage des AfD-Populismus, nicht so sehr der Euro selbst. Die meisten Populisten sind Europa-Skeptiker. Die AfD ist inzwischen aber nicht mehr nur euroskeptisch, sondern demokratieskeptisch.
In Polen, Ungarn und Italien waren oder sind Rechtspopulisten an der Macht. 2022 wird in Frankreich ein neuer Präsident gewählt; der ultrarechte Kandidat Eric Zémmour steht aktuell gut da. Wie groß ist die Gefahr für Europa?
Wir werden sehen, wie das in Frankreich ausgeht. Aber man darf die Gefahr nicht unterschätzen. Natürlich ist auch dieses Lager sehr uneinheitlich: Einige Gruppierungen wollen die EU verlassen. Andere – wie die Regierungsparteien in Ungarn und Polen – wollen sie zwar erhalten, aber bis zur Unkenntlichkeit umgestalten.
Steckt Europa angesichts dieser Herausforderungen nicht in einer Art Dauerkrise?
Es ist sicherlich so, dass es in den vergangenen Jahren enorme Herausforderungen zu bewältigen gab, von denen einige ungelöst bleiben: Finanz- und Wirtschaftskrisen, Umgang mit Zuwanderung oder der Pandemie. Das war ein Nährboden für alle möglichen antidemokratischen Bewegungen.
Wie kann Europa aus dem Krisenmodus herausfinden und wieder proaktiv werden?
Ich glaube, Europa ist schon in dieser Phase. Die seit 2019 amtierende Kommission hat einen grünen Wandel eingeleitet, wir sind weltweit führend beim Umgang mit digitalen Regulierungen. Gleichzeitig stellt die EU jetzt finanzielle Hilfen im großen Stil bereit. Sie hat sich Eigenmittel beschafft durch den Beschluss, gemeinsam in die Pandemie-Bekämpfung zu investieren. Das ist ein Paradigmenwechsel, der vor Kurzem noch undenkbar gewesen wäre.
An der Pandemie-Politik Brüssels gab es aber heftige Kritik.
Die EU hat sich dennoch zusammengerauft. Sie hat die Binnengrenzen offen gehalten, sie hat sich nicht heillos zerstritten über die Beschaffung von Masken oder Impfdosen. Und obwohl ich einer der Kritiker des außenpolitischen Handlungsspielraums der EU bin, muss ich anerkennen, dass Europa in der Lage ist, bei einer Bedrohungslage mit einer Stimme zu sprechen – wie jüngst im Hinblick auf Belarus und hoffentlich bald mit Blick auf Russland.
Reicht das aus? Bräuchte es nicht neben Erklärungen auch ein energischeres gemeinsames Handeln in der Außenpolitik?
Das gibt es teilweise schon. Ich nenne nur den Sanktionsmechanismus, den sogenannten Magnitsky Act. Natürlich wünsche auch ich mir mehr, etwa eine klarere Positionierung der EU in Sachen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Aber man kann nicht alles, was Europa inhaltlich anders entscheidet, als einem selbst lieb wäre, als »Europaversagen« bezeichnen. Wir sollten uns von diesem Denken lösen. Das heißt nicht, dass wir nicht weiterhin für unsere Überzeugungen kämpfen müssen.
Oft wird gefordert, Mehrheitsentscheidungen auch in der Außenpolitik zu ermöglichen. Ist das das richtige Mittel?
Solange das nicht bedeutet, dass ein paar große Länder die kleineren überfahren, wäre es ein Fortschritt.
Hieße das nicht aber, dass Deutschland überstimmt werden könnte und problematische EU-Entscheidungen mittragen müsste, etwa im Hinblick auf Israel?
Das ist in der Tat eine der Sorgen. Aber das verpflichtet Deutschland beziehungsweise die anderen Länder, die bestimmte Interessen haben, die Mehrheiten auf EU-Ebene gut vorzubereiten. Wir können ja nicht den anderen Ländern sagen, wir wollen mehr Einigkeit und Handlungsfähigkeit, dann aber hier und dort doch nicht mitmachen.
Was wird sich durch eine grüne Außenministerin in der Europapolitik ändern?
Bislang gab es da die Merkelsche Lösung: Wenn es um gemeinschaftliche Interessen ging, wollte Deutschland den kleinsten gemeinsamen Nenner. Wenn es aber um deutsche Interessen ging, wurden diese rücksichtslos durchgeboxt. Nur um ein Beispiel zu nennen: Die bereits beschlossene Anwendung des Rechtsstaatsmechanismus gegen Polen und Ungarn wurde durch eine einzige Ansage von Bundeskanzlerin Merkel ausgebremst. Wir müssen künftig diese Dualität aufbrechen: nicht als EU ducken und als Deutschland den großen Macker spielen. Europäische Interessen sind unsere eigenen Interessen. Nur so bringen wir die EU global wieder nach vorn.
Mit dem Europaabgeordneten der Fraktion Die Grünen/EFA sprach Michael Thaidigsmann.