Es ist kurz nach 21 Uhr am 27. Februar 1933, als im Reichstag in Berlin der Feueralarm schrillt. Der Plenarsaal steht komplett in Flammen, die Glut schlägt durch die Kuppel des Gebäudes und erleuchtet den Berliner Nachthimmel. 15 Züge der Feuerwehr haben schwer zu kämpfen, erst kurz nach Mitternacht haben sie das Feuer gelöscht. Der Reichstag ist für Parlamentssitzungen unbrauchbar.
Die Nazi-Machthaber verbreiten das Gerücht, die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) habe ihre Finger bei dem Brand im Spiel gehabt. »Das ist das Signal zum kommunistischen Aufstand«, schreit Hermann Göring angeblich. Hitler fordert, alle KPD-Funktionäre sofort zu erschießen, sobald man ihrer habhaft werde.
Verhaftungswelle Noch in der Brandnacht läuft eine Verhaftungswelle an. Rund 4000 KPD-Mitglieder werden in den folgenden Wochen festgenommen, ihre Partei verboten. Auch andere Gegner der Nazis wie die Publizisten Egon Erwin Kisch, Erich Mühsam oder Carl von Ossietzky kommen in Haft. Gleich am Tag nach dem Feuer erlassen die Nazis die »Verordnung zum Schutz von Volk und Staat«.
»Ob diese ganze Sache jemals in die eine oder andere Richtung bewiesen werden kann, bezweifle ich.«
Thomas Raithel, Historiker
»Durch diese Reichstagsbrandverordnung wird der Grundstein für die Diktatur gelegt«, erklärt Thomas Raithel, Historiker vom Institut für Zeitgeschichte in München. Sie habe zwei Wirkungen gehabt, eine kurz- und eine langfristige, erläutert er: »Kurzfristig dient sie als Rechtfertigung für die Verfolgung politischer Gegner, durch die Ausschaltung der Kommunisten hat sie auch Einfluss auf die Reichstagswahlen im März. Langfristig bleiben viele Vorschriften der Verordnung in Kraft, zum Beispiel die Einschränkung der Bürgerrechte und weitgehende Kompetenzen für Sicherheitsorgane.«
Noch im brennenden Reichstagsgebäude nimmt die Polizei den Niederländer Marinus van der Lubbe fest. Der 24-Jährige gesteht sofort, den Brand gelegt zu haben. Er habe alleine gehandelt, sagt er, um damit die deutschen Arbeiter zum Widerstand gegen die NS-Machthaber aufzurufen.
Vorwand Trotzdem setzen sofort Spekulationen darüber ein, ob er Helfer gehabt habe. Während die Nationalsozialisten mit den Fingern auf die Kommunisten zeigen, vermuten andere, van der Lubbe sei Provokateuren von rechts auf den Leim gegangen, die ihn angestiftet hätten. So hätten die Nazis einen Vorwand für den Schlag gegen ihre Gegner bekommen wollen.
Weil im Plenarsaal des Reichstags mehrere weit auseinanderliegende Brandnester zu dem verheerenden Feuer geführt haben, kommen auch Gutachter im Prozess gegen van der Lubbe zu dem Ergebnis, er habe unmöglich als Einzeltäter handeln können - was die Nazis natürlich als Beleg für eine geplante Aktion der Kommunisten ins Feld führen. Vier gemeinsam mit van der Lubbe angeklagte Kommunisten werden im Prozess allerdings wegen völliger Abwesenheit von Beweisen freigesprochen.
Entschieden ist die Täterfrage bis heute nicht.
Der »Spiegel«-Journalist Fritz Tobias recherchiert 1959, dass van der Lubbe - der 1934 hingerichtet wurde - ein Einzeltäter gewesen sein musste. Der Historiker Hans Mommsen bestätigt dies 1964. Er verweist auf die Luftzufuhr und die hohen Decken im Plenarsaal, die zusammen wie ein Kamin gewirkt hätten. Solch einen Raum hätte auch ein Einzelner in kurzer Zeit in Schutt und Asche verwandeln können - selbst mit so einfachen Mitteln wie den Kohle-Anzündern und brennenden Stofflappen, die der Niederländer verwendet hatte.
Indizien Entschieden ist die Täterfrage bis heute nicht, aber derzeit gewinnt die Mehrtäter-These in der Forschung langsam wieder an Boden. Unter anderen hat der Historiker Hersch Fischler Indizien zusammengetragen, die zumindest Zweifel an der Einzeltäterschafts-These zulassen. Fischler wertete Zeugenaussagen, Alarmierungs- und Fahrtzeiten der Feuerwehr noch einmal aus und errechnete so, dass van der Lubbe maximal elf oder zwölf Minuten Zeit gehabt hatte, um den Reichstag in ein Flammenmeer zu verwandeln. Ein harter Beweis gegen die Einzeltäterschaft ist das freilich nicht.
Vor fünf Jahren tauchte außerdem in einem Archiv die Schilderung von Hans-Martin Lennings aus dem Jahr 1955 auf. Der ehemalige SA-Mann hatte eidesstattlich versichert, er habe van der Lubbe zum Reichstag gefahren, und bei ihrer Ankunft habe es bereits nach Brand gerochen.
Ob diese Geschichte stimmt, lässt sich kaum mehr sagen. Lennings ist seit 1962 tot. Sie widerspricht allerdings vielen Details in den Ermittlungsakten, nicht zuletzt den Angaben van der Lubbes selbst, der seine Täterschaft immer offen zugegeben hatte.
Wenn die Nazis ihre Finger im Spiel gehabt hätten, sei die Frage, welche Nazis genau, sagt der Münchner Forscher Raithel: »Die Nazis waren keine homogene Gruppe.« Möglich sei etwa, dass die SA ihr eigenes Spiel gespielt habe, eventuell mit Rückendeckung einzelner führender NS-Größen, während andere nichts wussten. »Ob allerdings diese ganze Sache jemals in die eine oder andere Richtung bewiesen werden kann, bezweifle ich«, sagt Raithel.