Knesset-Wahl

Alles beim Alten

Rest vom Fest: Wahlwerbung liegt auf dem Boden der Likud-Zentrale in Tel Aviv. Foto: Reuters

Nach den ersten Hochrechnungen schienen Benjamin Netanjahu und Isaac Herzog von der Arbeitspartei mit jeweils 27 Sitzen am Abend noch gleichauf zu liegen. Doch über Nacht kam die dramatische Wende. Am Morgen nach der Wahl zur 20. Knesset ist Netanjahu der alte und neue Ministerpräsident Israels. 99 Prozent der Stimmen sind ausgezählt, und der Likud liegt mit 30 Sitzen klar vorn. Abgeschlagen sein Herausforderer Herzog mit 24 Sitzen.

Die warme Frühlingssonne strahlte am Wahltag im ganzen Land. Alle Schüler hatten schulfrei, Kindergärten waren geschlossen, die Eltern mussten nicht zur Arbeit. Viele verbanden den Gang an die Urnen mit einem Abstecher an den Strand oder einem Ausflug in die Naturparks. Mütter und Väter nahmen ihre Sprösslinge mit in die Wahllokale, um ihnen zu zeigen, wie Demokratie funktioniert. 5,88 Millionen Israelis ab 18 Jahren sind wahlberechtigt, 80 Prozent von ihnen jüdische Israelis, 15 Prozent Araber mit israelischem Personalausweis und fünf Prozent andere Minoritätengruppen.

Positionen Den amtierenden Regierungschef hatten die meisten heimischen Medien seit Wochen abgeschrieben. Und sogar er selbst schien kurz vor der Wahl in Panik zu geraten, dass er als Verlierer dastehen könnte. Als Folge rückte er seine politischen Positionen kurzerhand weiter nach rechts. »Unter mir wird es keinen Palästinenserstaat geben«, tönte er, kurz bevor er selbst seinen Wahlzettel abgab. Eine klare Absage an eine Zweistaatenlösung, die er vor einer Weile selbst noch propagiert hatte. Und ein Kommentar, der sowohl beim amerikanischen Präsidenten Barack Obama als auch bei den europäischen Regierungen auf wenig Zustimmung stoßen dürfte.

Doch Netanjahus Strategie ging dann am Ende auf. »Es war ein Sieg gegen jede Wahrscheinlichkeit«, sagte er noch in der Nacht, bevor die Stimmen ausgezählt waren. »Das nationale Lager hat klar gewonnen.« Er sollte recht behalten. »Es wird eine starke Regierung, die sich um die Sicherheit und das Soziale kümmert«, versprach Netanjahu am Morgen danach seinen Wählern. Gemeinsam mit den rechtsnationalen und religiösen Parteien kann er es auf 68 Sitze bringen und eine solide Koalition bilden. 61 Mandate werden benötigt.

Dabei sind es auch die Rechtsparteien, die verloren haben. Allerdings an den Likud. Die alteingesessene Partei fischte am rechten Rand, vor allem bei Avigdor Liebermans Israel Beiteinu, die wegen eines Korruptionsskandals Gefahr lief, nicht einmal die 3,25-Prozent-Hürde zu überschreiten. Doch selbst dem »traditionellen Partner«, wie Netanjahu das Jüdische Haus gern bezeichnet, entzog er massenhaft Stimmen. Der Vorsitzende der nationalreligiösen Partei, Naftali Bennett, musste sich statt der prognostizierten zwölf Sitze am Ende mit acht zufriedengeben.

Koalition Dennoch gibt sich Bennett als Sieger. Denn nur Minuten nach den ersten Hochrechnungen hieß es, Netanjahu habe ihn angerufen, um einen Termin für Koalitionsgespräche auszumachen. Auch bei den anderen rechten und religiösen Parteien hat das Telefon mittlerweile geklingelt.

Für die Zionistische Union von Isaac Herzog und Zipi Livni von der Partei Hatnua ist das Ergebnis eine herbe Enttäuschung. »Es ist kein leichter Morgen für uns und alle, die an unseren Weg glauben«, gaben sie in einer Erklärung bekannt. »Die Probleme sind dieselben. Nichts hat sich geändert. Wir werden weiterhin für unsere Werte und einen Wandel im Land kämpfen«, sagte Herzog dann. »Und er wird kommen.«

Livni hatte nur zwei Tage vor der Wahl erklärt, sie werde auf das Abkommen zur Rotation auf dem Chefsessel zwischen ihr und Herzog verzichten und ihren Kollegen als alleinigen Premierminister unterstützen. Doch auch dieser Schritt brachte nicht die gewünschte Mehrheit. Ebenso enttäuschend schnitt die Linkspartei Meretz ab, die gerade einmal vier Sitze erhielt. Die Vorsitzende Zehava Gal-On will den Chefsessel daraufhin abgeben.

Der Wähler Aviv, der am Dienstagabend auf einer Parkbank in Tel Aviv mit seiner Freundin die laue Frühlingluft genießt, versteht, warum. »Sie wollen die linke Kraft in Israel sein, bringen aber überhaupt keinen frischen Wind. Sie sind so konservativ und sehen dazu auch noch aus wie alte Tanten.«

Araber Gewinner sind stattdessen die Araber: Ihr Bündnis aus drei arabischen Gruppierungen sowie einer jüdisch-arabischen bringt die Vereinte Arabische Liste als drittstärkste Partei mit 14 Sitzen in die Knesset. Noch am Wahltag wollte Netanjahu die Angst der jüdischen Israelis vor den wählenden Arabern schüren, als er sagte: »Massen von Arabern pilgern an die Urnen.« Die Tageszeitung Haaretz schrieb am Mittwoch, dass die palästinensische Autonomiebehörde Israel nach dem Wahlergebnis und den Aussagen von Netanjahu nicht mehr als Partner im Friedensprozess ansehe.

Partner in einer Regierungskoalition könnte Mosche Kachlon sein, dem acht Mandate prognostiziert worden waren. Er bekam zehn. »Und ich bin für alles offen«, sagte er. Der Ex-Likudnik wolle sich mit seiner Partei Kulanu für eine soziale Erneuerung einsetzen.

Yair Lapids Jesch Atid geht aus der Wahl als viertstärkste Partei mit elf Sitzen hervor, gefolgt von Kulanu, dem Jüdischen Haus mit acht, der religiösen Schas mit sieben, Israel Beiteinu sowie der ultraorthodoxen Union Vereinigtes Tora-Judentum mit jeweils sechs und Meretz mit vier Mandaten. Die rechtsextreme Partei Jachad von Eli Yishai konnte die Hürde nicht überspringen.

Die politische Wende konnten auch die Medien nicht herbeischreiben. Das Gegenteil trat ein. Netanjahus Gegner, die auf »alles – nur nicht Bibi« gesetzt hatten, wachten am Mittwochmorgen in einer bitteren Realität auf. Denn statt nach Hause zu gehen, sitzt der alte und neue Regierungschef heute fester im Regierungssattel als je zuvor.

Trotz Der junge Mann hinter der Theke des Cafés Boutique Central an der Herzl-Straße in Tel Aviv scheint eine Vorahnung gehabt zu haben, als er trotzig meinte, er gehe nicht wählen, weil »keiner der Kandidaten zu mir spricht, weil niemand Neues bringt. Es wird dasselbe dabei herauskommen, wie immer in den letzten Jahren. So ist Israel einfach«.

Mitreden indes wollten die meisten. Insgesamt lag die Wahlbeteiligung höher als in den vergangenen 15 Jahren. Fast 72 Prozent der wahlberechtigten Israelis machten von ihrem demokratischen Recht Gebrauch.

Stolz posteten die Menschen den ganzen Tag über Fotos auf Facebook und Twitter, wie sie vor den blauen Wahlboxen standen, den Umschlag in der Hand. Doch in den meisten steckte nicht, was von vielen als »große Wende« bezeichnet wurde. Stattdessen ist in Israel alles beim Alten.

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