Frau Kats, Sie werden am 27. Januar, dem Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus, im Deutschen Bundestag sprechen. Was bedeutet das für Sie?
Es ist etwas sehr Besonderes, eine große Ehre – ich hätte es nie für möglich gehalten! Ich werde dort über etwas sprechen, das mir sehr am Herzen liegt.
Was ist das?
Es geht in diesem Jahr zum ersten Mal um eine Opfergruppe, die an den Holocaust-Gedenktagen bisher nie speziell erwähnt wurde, nämlich queere Menschen. Ich habe viele Freunde, die homosexuell sind, habe dem aber nie Beachtung geschenkt, sie sind einfach meine Freunde. Als ich aus Berlin angefragt wurde, habe ich gern zugesagt. Dem liegt ein sehr schöner Gedanke zugrunde: Solidarität von einer Gruppe zur anderen.
Diese Verbindung liegt ihnen also besonders am Herzen?
Ja, und zwar in dem Sinne, dass ich allen Menschen gegenüber offen bin. Ich finde es furchtbar, Unterschiede zu machen. Wenn wir geboren werden, haben wir alle dieselben Bedürfnisse. Ich versuche immer, auf den jeweiligen Menschen zu schauen. Das sage ich auch bei meinen Gesprächen an Schulen und anderen Orten: Man muss einen Menschen erst einmal kennenlernen und darf nicht immer gleich urteilen.
Was möchten Sie den Bundestagsabgeordneten mitteilen?
Dass ich, auch wenn ich nicht zu dieser Opfergruppe gehöre, vieles von ihrer Problematik kenne und weiß, wie furchtbar es ist, was mit ihnen geschah. Das erzähle ich anhand eines Teils meiner eigenen Geschichte und schlage von dort eine Brücke zur Geschichte der homosexuellen Opfer.
Wollen Sie auch der jungen Generation etwas mit auf den Weg geben?
Ja, und zwar: Versucht, euch immer in andere hineinzuversetzen, sie zu verstehen! Dazu muss man sich seiner eigenen Verantwortung als Mensch bewusst sein, nicht nur gegenüber sich selbst, auch gegenüber anderen. Nehmt diese Verantwortung wahr! Vielleicht werde ich als »Gutmensch« beschimpft, wenn ich das sage, aber ich denke, das ist die einzige Art, wie man als Gesellschaft weiterkommen kann, ohne diese Polarisierung.
In den vergangenen Jahren hat der Antisemitismus immer mehr zugenommen. Was kann man dagegen tun?
Ich weiß es nicht – aber ich plädiere dafür, dass jeder schaut, was er auf seinem eigenen kleinen Quadratzentimeter tun kann: Lass den Hass nicht zu! Tu, was du kannst, auch wenn es nur für dein eigenes Gewissen ist! Wenn ich in Schulen spreche, dann will ich dort durch meine Geschichte Empathie erzeugen. Denn wie kann man ohne Empathie, ohne sich in jemanden hineinzuversetzen, jemals einen Menschen verstehen? Damit beginnt es!
Mit der Amsterdamer Holocaust-Überlebenden und Zeitzeugin sprach Tobias Müller.