Nazivergleiche erschüttern die Piratenpartei. Der Berliner Abgeordnete Martin Delius hatte seiner Partei attestiert, ihr Aufstieg verlaufe »so rasant wie der der NSDAP zwischen 1928 und 1933«. Der Berliner Landeschef Hartmut Semken sagte, die letzte deutsche Partei, die so »einen Riesenerfolg« erzielt habe, sei die NSDAP gewesen.
Hinzu kommt die Meldung über den abgewiesenen Parteiausschluss des Holocaust-Relativierers Bodo Thiesen in Rheinland-Pfalz. Und der Lübecker Direktkandidat für den Landtag, Manfred Vandersee, hatte nicht nur via Twitter eine Naziband empfohlen, sondern auch auf Facebook über den Zentralrat der Juden geschimpft, dieser werde »mit hart erarbeiteten Steuergeldern alimentiert«.
einzelfälle All das galt parteioffiziell bislang jeweils als »Einzelfall«. Die schleswig-holsteinischen Piraten nahmen Vandersee etwa mit der Floskel in Schutz, das Zitat sei »aus dem Zusammenhang gerissen«, er habe sich bloß gegen Zahlungen an Religionsgemeinschaften gewandt.
Dass Vandersee aber auf Facebook einen antisemitischen Kommentar (»Sobald du das Wort ›Jude‹ in den Mund nimmst, wird die rechte Keule geschwungen«) mit einem »Like« markiert hatte, kommentierte die Landespartei nicht. Eine Interviewanfrage wurde ignoriert.
Mittlerweile zeigt sich: Jeder neue Naziskandal zieht noch mehr Rechte in die Partei. Bislang verstehen sich die Piraten als ultraliberale Partei, die stolz darauf ist, bei Neumitgliedern nicht auf ihre politische Herkunft zu schauen. Erst spät fällt ihnen auf, dass genau dies das Einfallstor für Menschen ist, die mit der Popularität der neuen Partei ihren Hass verbreiten wollen.
Weltjudentum Mario Liedke etwa, Neumitglied aus NRW, wurde anstandslos aufgenommen, obwohl er auf seinem Blog auch etwas über die »Chuzpe, mit der sich Israel und einige Juden Gehör, Aufmerksamkeit und Geld verschaffen« postet. Auch das frühere Mitglied »yrthy«, ein Düsseldorfer Pharmazie-Doktorand, ist trotz Statements wie »Wo ist eigentlich der fundamentale Unterschied zwischen ›Weltjudentum‹ und ›Wirtschaftliche Ausnutzung des Holocausts‹?« immer noch gern gesehener Gast bei Piraten-Stammtischen.
Im rheinland-pfälzischen Ludwigshafen liebäugelt Udo Thümmel, Vertreter der Republikaner im Stadtrat, mit dem Übertritt zu den Piraten. Und die luden ihn tatsächlich ein. Landeschef Roman Schmitt versuchte, Kritik abzuwehren: »Mit besagtem ehemaligen Rep ist vereinbart, dass er vorerst keinen Antrag stellt und erst mal so mitarbeitet. Sprich, sich beweist und zeigt, dass er nichts mehr mit den Reps und deren Gedankengut zu tun hat.« Im Übrigen, so Schmitt, habe Thümmel »eine russische Freundin, die er, wäre er so stark ›rechts‹, wie hier suggeriert wird, nicht haben dürfte«.
Dass besagte Freundin, in Wirklichkeit Thümmels Ehefrau, im Kreisverband Ludwigshafen der Republikaner als »Ausländerbeauftragte« fungiert, hat die Partei mit der angeblich hohen Internetkompetenz noch nicht herausgefunden.
Künftig will man vor Personalentscheidungen googeln, fordert jedenfalls der Berliner Fraktionschef Andreas Baum: »Jedes Mitglied, das für ein Amt kandidiert, sollte vorher auf NPD-Vergangenheit und rassistische Aussagen überprüft werden.«
Austritte Anderen Piraten geht das nicht weit genug. Am Dienstag legten einige Parteimitglieder eine Dokumentation mit Links zu Parteitagsbeschlüssen, Initiativen und Blogposts vor, in denen man sich klar von Nazis distanziert, um zu zeigen, dass die Partei – trotz aller Skandale – eindeutig gegen Nazis steht.
Aushängeschild ist Marina Weisband, scheidende politische Geschäftsführerin der Partei. Dass es rechtsextreme Stimmen in ihrer Partei gibt, schließt Weisband, auf deren Judentum die Partei immer gerne verweist, nicht aus: »So etwas kann man nie ausschließen. Rassisten sind bei uns aber in jedem Fall unerwünscht.«
Die bisherige parteiübliche Reaktion auf die Skandale hat sich jedenfalls als abgenutzt erwiesen: Jedem einzelnen bekannt gewordenen rechten Statement folgt bei den Piraten nicht nur ein sogenannter Shitstorm, sondern auch eine Welle von zustimmenden Blogbeiträgen.
Mittlerweile nimmt auch die Zahl derer, die im Kampf gegen Rassisten und Antisemiten resignieren, zu. Der Saarländer Daniel Petri etwa twitterte Anfang der Woche: »Hab’ gerade Post von den Piraten bekommen. Hihi, Mitgliedsausweis geht ungenutzt zurück. Das ist mir 55 Cent wert!«