Noch ist der auf rund 200 Milliarden Euro veranschlagte Haushaltsplan der Europäischen Union für das kommende Jahr nicht unter Dach und Fach. Am Mittwoch sollten in Straßburg wichtige Weichen dafür gestellt werden. Das im Juni neu gewählte Europaparlament stimmte unter anderem über die politischen Leitplanken für die anstehenden Budgetverhandlungen mit dem Rat (welcher die 27 Mitgliedsstaaten der EU repräsentiert) ab.
Doch es kam anders als gedacht. Dem Plenum lagen zahlreiche Änderungsanträge der Fraktionen vor, die von Parlamentspräsidentin Roberta Metsola straff geführte Abstimmung darüber dauerte eine halbe Stunde. Ein Zankapfel waren erneut die Finanzmittel für die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) und die Zuwendungen der EU an das Palästinenserhilfswerk UNRWA. Die EU und ihre Mitgliedsstaaten sind die größten externen Geber.
»Freund des palästinensischen Volkes«
Fast eine Milliarde Euro wurden seit 2021 bereits für Hilfen an die Palästinenser bewilligt. Im August überwies Brüssel zusätzlich eine Nothilfe von 43 Millionen Euro an Ramallah, damit die PA die Gehälter ihrer Beamten bezahlen konnte. Mit dem Geld wolle man helfen, den »dringendsten finanziellen Bedarf« der Behörde von Mahmud Abbas zu decken und »ihre substanzielle und glaubwürdige Reformagenda unterstützen«, teilte die Kommission mit. Sie rühmte sich sogar, man sei »zuverlässigster und engagiertester Geber und Partner des palästinensischen Volkes«.
Die UNRWA, die Schulen in den Palästinensergebieten und auch in Jordanien, Syrien und dem Libanon betreibt, kam nach dem Terroranschlag der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 ins Gerede. Mehrere Mitarbeiter des UN-Hilfswerks in Gaza hatten sich aktiv an den Massakern und Entführungen israelischer Zivilisten beteiligt. Israel vermutet, dass mehr als Tausend der rund 30.000 UNRWA-Beschäftigten Mitglieder der Hamas oder anderer terroristischer Organisationen sind, zum Teil auch von militärischen Verbänden.
Doch nach einigen Wochen des Innehaltens nahm die Europäische Kommission, die für die ordnungsgemäße Verwendung des EU-Budgets zuständig ist, schnell ihre Zahlungen wieder auf. Auch andere Staaten, darunter Deutschland, zeigten sich zufrieden mit Zusagen der UNRWA und der Behauptung, man stelle sicher, dass kein Geld zur Unterstützung terroristischer Aktivitäten verwendet werde.
Am 17. Oktober überwies Brüssel die letzte Tranche der für 2024 vorgesehen 82 Millionen Euro an die UNRWA. Im kommenden Jahr soll es dann nochmals einen kräftigen Zuschlag geben, wenn es nach dem Willen einiger Mitgliedsstaaten und auch vieler Abgeordneter geht. 60 Millionen Euro zusätzlich sind veranschlagt. Es wäre ein kräftiger Schluck aus der Pulle. Die Begründung: Die »kritische finanzielle Lage des Hilfswerks« gefährde die Fähigkeit der UN-Einrichtung, ihrer Arbeit nachzukommen. Vor allem in Gaza.
Die UNRWA sei »als zentrale Komponente der Strategie der EU zur Förderung von Sicherheit, Stabilität und Entwicklung im Nahen Osten zu unterstützen«, ja, sie sei schlicht »unersetzlich«, um das Leid der Menschen in Gaza zu lindern, stand im Resolutionsentwurf der Abgeordneten. Als einzige Bedingung wurde genannt, dass die EU-Mittel »auf transparente und kontrollierte Weise ausgezahlt« werden müssten, was eventuell bedeute, dass noch weitere Reformen bei der UNRWA erforderlich seien.
Kritiker halten das Hilfswerk, das seit sieben Jahrzehnten für sogenannte Palästina-Flüchtlinge zuständig ist, hingegen für nicht reformierbar. Sie fordern, dass andere UN-Organisation an seine Stelle treten. Auch im Europaparlament fand eine Mehrheit der Abgeordneten, dass auch andere Hilfsorganisationen für Zuwendungen der EU infrage kommen müssten und stimmten einem Änderungsantrag der rechten Fraktion »Patrioten für Europa« zu.
Überraschendes Votum am Schluss
Zudem fand ein vom CDU-Abgeordneten Niclas Herbst formulierter Antrag deutscher und österreichischer Christdemokraten sowie einiger Liberaler eine Mehrheit, in dem die Palästinensische Autonomiebehörde aufgefordert wird, bis zum nächsten Schuljahr sämtliche Lehrmaterialien zu entfernen, die nicht den UNESCO-Standards entsprechen und die Antisemitismus, Gewalt, Hetze und Verherrlichung von Terrorismus enthalten.
Doch die Freude Herbsts und seiner Mitstreiter währte nicht lange: Bei der Schlussabstimmung über den Gesamttext votierten 360 Abgeordnete mit Nein, der soeben noch geänderte Text war damit plötzlich abgelehnt. Das hat nun zur Folge, dass das Parlament ohne eine eigene Verhandlungsposition in die anstehenden Haushaltsverhandlungen mit dem Rat gehen wird.
Viele Sozialdemokraten, Grüne und Linke, aber auch einige Liberale und zahlreiche Abgeordnete der Rechtsaußen-Fraktionen befanden offenbar, dass mit den beschlossenen Änderungen am Ursprungstext die eigene Schmerzgrenze überschritten war. Schon vor der Abstimmung in Straßburg hatte die sozialdemokratische Fraktion auch den Änderungsantrag von Herbst zu den Schulbüchern zum »Key Vote« erklärt und signalisiert, man werde im Falle der Annahme die gesamte Resolution zu Fall zu bringen.
So kam es am Ende auch, auch wenn einige deutsche SPD-Abgeordnete der Fraktionslinie nicht folgten. Das Abstimmungsverhalten löste nicht nur bei Niklas Herbst Kopfschütteln aus. »Ich habe meinen Antrag zu den Schulbüchern so formuliert, dass man ihm mit gesundem Menschenverstand eigentlich zustimmen kann. Auch palästinensische Kinder haben schließlich ein Anrecht auf eine gewaltfreie Schulbildung. Dass man die gesamte Resolution scheitern lässt und das Parlament nun keine Position zu den anstehenden Haushaltsverhandlungen hat, ist schon ein starkes Stück«, sagte Herbst dieser Zeitung.
Cordon sanitaire ignoriert?
Aus der Fraktion der Grünen hieß es hingegen, die Ablehnung am Schluss habe nichts mit der inhaltlichen Ausrichtung des Textes zu tun. Sie sei vielmehr einzig und allein der Tatsache geschuldet, dass die Christdemokraten den »Cordon sanitaire«, also die Brandmauer aufgegeben und einigen Änderungsanträgen der »Patrioten für Europa« zur Mehrheit verholfen hätten. Deshalb habe man am Ende mit Nein gestimmt. Bis auf eine Ausnahme, den deutschen Abgeordneten Sergey Lagodinsky, lehnte die gesamte grüne Fraktion jedoch auch den Änderungsantrag von Herbst und Co. ab.
Bei den Sozialdemokraten votierten ebenfalls nur eine Handvoll Abgeordnete für eine strengere Kontrolle der Zuwendungen an die PA. Neben der Deutschen Sabrina Repp waren es österreichische und dänische Vertreter. Die liberale Fraktion war hingegen gespalten: Während die FDP-Parlamentarier die Änderungsanträge der Christdemokraten mittrugen, votierte ein Großteil der Fraktion gegen sie.
Bei vielen Abgeordneten –insbesondere jenen aus dem Süden Europas und den skandinavischen Ländern – ist Kritik an der Verwendung von EU-Geldern für die Palästinenser im Moment schlicht unerwünscht. Der FDP-Politiker Moritz Körner musste diese Erfahrung am Dienstag im Parlament machen.
»Kreislauf des Hasses durchbrechen«
In seiner Rede beklagte er eine »Doppelmoral« im Umgang mit antisemitischen Lehrmaterialien. »Diese Bücher haben sich seit Jahren nicht geändert. Aber immer, wenn wir vorschlagen, Gelder zurückzuhalten, bis antisemitische Seiten entfernt werden, lehnt der Haushaltsausschuss unseren Änderungsantrag ab«, sagte Körner.
Er fragte seine Abgeordnetenkollegen: »Sagen Sie mir bitte, wie kann ein Parlament, das immer behauptet, grundlegende Werte zu verteidigen, sich plötzlich dagegen wehren, antisemitische Inhalte aus einem Schulbuch zu entfernen?« Es gehe nicht darum, pro-israelisch oder pro-palästinensisch zu sein, so Körner. »Es geht darum, den Kreislauf des Hasses zu durchbrechen und die Lehre des Hasses zu beenden. Und da wir alle dafür bezahlen, können wir das auch erreichen.«
Die anschließende Rednerin, die schwedische Sozialdemokratin Evin Incir, warf Körner vor, eine sehr einseitige Haltung zum Nahostkonflikt einzunehmen, »israelische Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Gaza« zu ignorieren und zuzulassen, dass »extremistische Akteure unsere Haltung« bestimmen dürfen. Dabei hatte der deutsche Abgeordnete in seinem Vortrag ausschließlich über die Problematik der Schulbücher gesprochen.
Unterschwellig, so ein Europaabgeordneter gegenüber dieser Zeitung, gebe es im Parlament eine zunehmend israelfeindliche Stimmung. Die dürfte auch die Haushaltsberatungen beeinflussen, wenngleich noch nicht abgemacht ist, ob die EU-Gelder an die Palästinenser weiter so üppig und bedingungslos fließen werden wie bisher.