»Dabeisein ist alles« lautet bekanntlich nicht nur ein Lied von Heinz-Rudolf Kunze, sondern auch das Motto der Olympischen Spiele.
Ob dies der AfD-Vorsitzenden Alice Weidel in den Sinn gekommen ist, als sie am Donnerstagabend in einem »Space« auf der Plattform X (vormals Twitter) 75 Minuten lang mit dem reichsten Mann der Welt redete? Mehr als 200.000 Menschen hörten den beiden phasenweise zu. Angeblich waren darunter auch mehr als 100 EU-Beamte, für die Musk und Weidel nichts als tiefe Verachtung übrig haben.
Allein die Tatsache, dass sich Musk soviel Zeit für sie nahm, muss Weidel geschmeichelt haben. Sie lachte auffällig oft, vor allem, wenn Musk seinen etwas spröden Charme zeigte.
Der Unternehmer stellte sie übertrieben als »leading candidate to run Germany« vor, als aussichtsreichste Kanzlerschaftsanwärterin also. Auch sonst schmierte er ihr reichlich Honig ums Maul, gab Weidel selbst bei abstrusesten Thesen Recht und vermied es generell, eine andere Auffassung zu vertreten als seine Gesprächspartnerin.
Die hatte stellenweise Probleme, sich verständlich auszudrücken und rang um die richtigen Worte. Weidels Online-Talk mit Elon Musk fand nämlich auf Englisch statt – was beim deutschsprachigen Publikum, das Weidel im bevorstehenden Wahlkampf von sich einnehmen möchte, wahrscheinlich nicht so effektiv war.
Ihren Konkurrenten, den CDU-Chef Friedrich Merz, bezeichnete sie als »Running Mate« – ein Ausdruck, der in den USA üblicherweise für Vizepräsidentenkandidaten aus dem eigenen Stall verwendet wird. Beim englischen Begriff für »Verstaatlichung« musste die Ökonomin Weidel kurz einen neben ihr sitzenden Mitarbeiter befragen.
Auch Musk dürfte das eine oder andere von dem nicht verstanden haben, was Weidel da so von sich gab. Aber er nahm es ihr nicht krumm, sondern neckte sie sogar ab und an, was Musk bei Weidel zusätzliche Sympathiepunkte einbrachte.
Die Konversation schnitt viele Themen an. Deutschlands Ausstieg aus der Atomenergie nannten beide eine »Idiotie«, auch wenn Musk mehr Sympathien für alternative Energien erkennen ließ als Weidel. Flugs folgte eine Generalabrechnung auf einem anderen Politikfeld.
»Wir haben da diese verrückte, linkssozialistische Agenda in unserem Bildungssystem. Die jungen Leute lernen nichts in der Schule und an der Universität. Sie lernen nur noch was über Gender Studies«, behauptete Weidel.
Woraufhin Musk erwiderte, er habe eigentlich bislang den Eindruck gehabt, dass Deutschland ein gutes Bildungssystem habe. Weidel klinge ja gerade so, als habe nun das Woke-Mind-Virus Einzug gehalten. Weidel nahm den Ball dankbar auf und pflichtete Musk bei.
Sie verwies auf die Ergebnisse der jüngsten PISA-Studie der OECD. »Also, vor ein paar Jahren war Deutschland noch in Ordnung. Die Ergebnisse waren okay. Aber jetzt sind wir einfach abgestürzt, weil die Umfrage gezeigt hat, dass junge Menschen nicht in der Lage sind, richtig zu rechnen oder Deutsch zu sprechen oder zu schreiben … Man muss also nicht mehr richtig Deutsch schreiben, weil sich unser gesamtes Bildungssystem verschlechtert hat. Und das ist auch der Grund, warum junge Menschen jetzt beispielsweise für uns stimmen, weil sie eine angemessene Ausbildung wollen und weil sie ein angemessenes Bildungssystem wollen, das den jungen Menschen Fähigkeiten vermittelt.«
Sie sei ja der Meinung, dass Deutschland zu einem leistungsorientierten System zurückkehren und sich »von all diesen sozialistischen Gender-Dingen in unserem Bildungssystem verabschieden« müsse, so Weidel.
Und wo sie schon mal beim Sozialismus war, kam sie dann gleich auf Adolf Hitler und den Nationalsozialismus zu sprechen. Hitler habe auch zuerst die Redefreiheit abgeschafft und die Medien unter seine Kontrolle gebracht, als er an die Macht gekommen sei, sagte Weidel. Genau, so sei das damals gewesen, sekundierte Musk, Hitler habe die »prosemitischen Zeitungen« und überhaupt alles Prosemitische verboten.
Und dann schlug er einen Bogen zur AfD. Heute gäbe es ja Medien, die wollten die AfD als extrem rechts darstellen, damit die Partei irgendwie mit dem Nationalsozialismus in Verbindung gebracht wird könne. An Weidel gewandt sagte er: »Vielleicht könntest du darauf etwas eingehen, denn, wenn die Leute in Deutschland etwas von einem rechten Flügel hören, reagieren sie natürlich ein bisschen negativ.«
Weidel schien dankbar für die Vorlage zu sein – und kam gleich wieder auf Hitler zu sprechen. Der sei bekanntlich auch ein Linker gewesen, ein »kommunistischer Sozialist, Punkt«, gewesen, behauptete sie. Als Beleg für den angeblichen Linksextremismus des Nazi-Diktators führte Weidel ihre Expertise als Ökonomin ins Feld. Hitler habe »die gesamte Industrie verstaatlichen« wollen, meinte sie. Ihre Partei sei aber genau das Gegenteil davon: »Wir sind eine libertäre, konservative Partei.«
In der linken Bewegung gebe es heute »einen tief verwurzelten Antisemitismus«, sagte sie weiter. »Das war schon immer so.« Hitler habe genau damit gespielt, so Weidel, und den in der Gesellschaft vorhandenen Hass auf Juden, die »hochgebildet« und »sehr kultiviert« und »erfolgreich« gewesen seien, kultiviert.
Dann kam folgender Satz: »Sie waren damals in Deutschland wohlhabende Menschen. Und dann nutzte er den Neid der Bevölkerung gegen diese Menschen aus. Und es war eine sozialistische Maßnahme, die gegen sie ergriffen wurde. Schaut euch Stalin an. Schau dir die Sowjetunion unter Stalin an. Genau dasselbe.«
»Hitler war ein Kommunist«
Hitler sei also nichts anderes »als ein antisemitischer Sozialist« gewesen. »Und wir sind genau das Gegenteil. Wir sind eine libertäre konservative Partei. Wir werden die ganze Zeit über fälschlicherweise in eine Schublade gesteckt«, beendete sie ihren Ausflug in das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte.
Zum Nahostkonflikt konnte oder wollte Weidel nicht viel sagen. Auch dann nicht, als Musk ihr die Frage stellte, was denn ihre Ansichten zu Israel seien.
Ihre Antwort war wenig ergiebig. »Oh, sehr kompliziert. Je mehr ich über den Nahen Osten und die Situation in Israel lese, desto komplizierter wird es. Und, äh, um ehrlich zu sein, wollte ich dich nach einer möglichen Lösung fragen, denn um ehrlich zu sein, sehe ich, meiner bescheidenen Meinung nach, keine Lösung. Vielleicht muss Israel einige Allianzen mit den sunnitischen Staaten finden, vielleicht, wenn möglich. Ja, um ehrlich zu sein, aus meiner Sicht, aus meiner Perspektive, ist es eine sehr komplizierte Situation.« Sie sei nicht die richtige Person, um danach gefragt zu werden, so Weidel.
Sie sei ja nicht wie die anderen Politiker, nein, sie wolle ehrliche Politik machen. »Und um ganz ehrlich zu sein, ich weiß nicht, wie ich den Konflikt zum jetzigen Zeitpunkt lösen soll. Und ich hoffe, dass du vielleicht eine Antwort darauf hast.«
Musk hatte auch so recht keine Antwort. Aber er hatte noch eine Frage. »Unterstützt du das Existenzrecht des Staates Israel uneingeschränkt?« Das wollten die Leute ja wissen von ihr und der AfD.
Weidel wirkte, als sei ihr ein Stein vom Herzen gefallen – und gab doch eine etwas verschwurbelte Antwort, gewürzt mit einer Prise Kritik am israelischen Ministerpräsidenten. »Wir müssen nicht nur die Existenz des Staates Israel schützen. Ich denke auch, dass Benjamin Netanjahu in der Vergangenheit viele Fehler gemacht hat, um ehrlich zu sein. Aber wir müssen auch unsere Verantwortung als deutscher Nationalstaat wahrnehmen, um jüdisches Leben und jüdische Menschen in unserem Land zu schützen, die derzeit muslimischer Massenkriminalität ausgesetzt sind. Richtig. Sie sind hier nicht mehr sicher.«
»Einzige Beschützerin der Juden«
Und dann kam sie auf das zu sprechen, was da gerade auf den Straßen Berlins und anderer Städte los sei. Kein Jude könne in Deutschland mehr auf der Straße gehen und sich sicher fühlen, führte sie aus – und lieferte gleich eine weitere These: »Die AfD ist die einzige Beschützerin des jüdischen Volkes hier in Deutschland. Denn die Einheitspartei, alle anderen Parteien, haben das genaue Gegenteil getan. Die haben Millionen von Menschen ins Land geholt. Sie haben zugelassen, dass sie auf unseren Straßen Verbrechen begehen, sodass die Kriminalitätsrate in die Höhe schießt. Und so verlassen jüdische Menschen unser Land.«
Ihre Partei, so Weidel, setze sich dagegen »für diese Menschen ein, auch wenn das Gegenteil in den Mainstream-Medien behauptet wird.«
Elon Musk ließ das so stehen, stimmte ihr höflich zu. Erneut sagte er den umstrittenen Satz, der Anlass für das Zwiegespräch mit Weidel gegeben und der viel Unmut in Deutschland ausgelöst hatte: »Nur die AfD kann Deutschland retten.«
Weidel ihrerseits bemühte sich während des Gesprächs, die Regierenden in Deutschland Grund und Boden zu kritisieren und lenkte das Gespräch immer wieder auf ihre Lieblingsthemen Zuwanderung, Energiepolitik und die angeblichen Verfehlungen der anderen Parteien. Die nannte sie verächtlich »Einheitspartei«. Angela Merkel schalt sie als »erste grüne Kanzlerin«, die Ampelkoalition bezeichnete Weidel als »Lachnummer«.
Gegen Ende durfte sie dann Fragen an Musk stellen. Wann denn der erste bemannte Flug zum Mars anstehe, wollte Weidel wissen. Damit war das Gespräch bei einem Thema angekommen, bei dem sie Musk nicht das Wasser reichen konnte.
Der wiederum nahm sich minutenlang Zeit, um lang und breit zu erklären, wie er sich die Zukunft der Menschheit vorstelle. Die irdische Zivilisation sei doch nur »ein winziger Blitz in der Dunkelheit«, so Musk. »Deshalb müssen wir uns fragen, welche Schritte wir unternehmen können, um das langfristige Überleben von Leben, wie wir es kennen, von Bewusstsein zu sichern. Und wenn wir eine multiplanetare Spezies sind, ist die wahrscheinliche Lebensdauer des Bewusstseins dramatisch größer, als wenn wir eine uniplanetare Spezies wären.«
Weidel hörte schweigend zu. Der Wahlkampf in Deutschland wirkte plötzlich sehr weit weg – vor allem, als Musk dann auf die technischen Herausforderungen der Mars-Mission zu sprechen kam.
Und wo man schon in den Weiten des Weltalls war und den ganz großen Dingen auf den Grund ging, fragte Weidel dann Musk plötzlich »Glaubst du an Gott?« Der antwortete etwas kryptisch, er sei »offen für die Idee von Gott«. Er strebe danach, seine Ansichten an das anzupassen, was er hinzulerne.
Bei ihr sei das genauso, erwiderte Weidel. »Und um ehrlich zu sein, bin ich immer noch auf der Suche und weiß nicht, was ich glauben soll. Das nennt man das vielleicht einen Agnostiker.« Es sei aber sehr interessant zu sehen, wie sich die Welt und auch das Universum entwickelt hätten. Und von Elon Musks Visionen zu erfahren.
Der Unternehmer hatte das Schlusswort: »Wir sollten einfach Maßnahmen ergreifen, die zu einem besseren Verständnis des Universums führen«, sagte er. Weidel bedankte sich überschwänglich bei Musk. »Ich weiß gerade gar nicht, wie ich weitermachen soll, weil diese Worte so schön sind.« Und dann sagte sie noch, es sei »wunderbar« gewesen, mit Musk zu reden und seine Visionen zu erfahren.
Ob es für die Zuhörer auch so wunderbar gewesen war, sei dahingestellt. Kanzlerformat bewies die AfD-Chefin jedenfalls kaum. Und das lag bei weitem nicht nur an ihrem Englisch, sondern auch an der Tatsache, dass sich dort offensichtlich nicht zwei Personen auf Augenhöhe begegneten.