Der Weg nach Unterlüß ist still und eintönig. Nur wenige Fahrzeuge sind an diesem Tag auf den Landstraßen in der Südheide in Niedersachsen unterwegs. Rechts und links der Fahrbahn erstreckt sich die karge Landschaft der Heide. Alle paar Kilometer liegt ein einsames Gehöft am Straßenrand oder ein kleines Dorf. Man fährt durch Eschede, einen größeren Ort, dessen Name wegen des Zugunglücks im Jahr 1998 traurige Berühmtheit erlangte. Dann wieder lange nichts, und dann kommt Unterlüß.
Ein großes Pfarrhaus steht gleich am Ortsrand. Von außen wirkt es behaglich, von innen urgemütlich. Wilfried Manneke wohnt hier. Der Pastor empfängt den Besuch im Arbeitszimmer, die Lesebrille vorne auf der Nasenspitze. Seine Frau bringt Kaffee. Die Uhren hier scheinen langsamer zu ticken als anderswo. Es ist friedlich.
Doch der Eindruck täuscht. Unter der Oberfläche brodelt es seit Jahrzehnten. Manneke, Jahrgang 1953, ist seit 22 Jahren Pastor der evangelischen Friedenskirche Unterlüß. Genauso lange kämpft er schon gegen den Rechtsextremismus und Antisemitismus in der Region.
behörden Die Gegend ist ein Anlaufpunkt für Neonazis, so lange Manneke denken kann. »Die Heide ist dünn besiedelt, es gibt wenige Arbeitsplätze und kaum Industrie«, sagt Manneke. Für die rechtsextremen Kameradschaften sind das perfekte Voraussetzungen, um Treffen zu organisieren, ihr Vorgehen zu planen und ihrer Ideologie zu huldigen.
Zentrum für ihre Treffen ist ein abgelegener Hof bei Eschede, der Hof von Landwirt Joachim Nahtz. Bis vor drei Jahren kamen bei jedem Treffen noch mehr als 300 Neonazis zusammen: zu den Sonnenwendfeiern im Juni und Dezember und zum Erntefest im September. Die Feiertage stammen aus der Zeit des Nationalsozialismus. Nach dem Verkauf von Landflächen darf Nahtz mittlerweile aber nicht mehr als 100 Leute auf seiner Hofstelle unterbringen. Weil die Veranstaltungen auf Privatgelände stattfinden, haben die Behörden es schwer, dagegen vorzugehen. Manneke will das nicht hinnehmen.
Er stellt sich den Neonazis buchstäblich in den Weg. Zusammen mit Mitgliedern aus seinem »Netzwerk Südheide«, in dem sich mehr als 500 Menschen gegen Rechtsextremismus zusammengeschlossen haben, geht er auf die Straße. Immer, wenn die Treffen auf dem Hof stattfinden, stehen sie vor der Zufahrt und demonstrieren. »Die Heide blüht lila und nicht braun!«, ist zum Beispiel auf den Schildern zu lesen.
demokratie Für seinen Einsatz gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus wird Manneke vom Zentralrat der Juden nun mit dem Paul-Spiegel-Preis geehrt. »Es ist das erste Mal, dass ich für mein Engagement gegen Rechtsextremismus einen Preis erhalte. Dass dieser Preis vom Zentralrat der Juden kommt, empfinde ich als besondere Ehre«, sagte Manneke kürzlich dem Christlichen Medienmagazin »pro«. Juden seien besonders im Visier von Neonazis. »Aufruf zum Rassenhass« sei zwar seit 1949 eine Straftat. Das halte Rechtsextreme jedoch nicht davon ab, ihr Weltbild weiter zu pflegen. Judenfeindlichkeit sei bei ihnen Grundkonsens, eine Art »Ehrensache«.
Der Antisemitismus in Deutschland sei nie richtig aufgearbeitet worden, findet Manneke. Der Umgang mit Juden sei bis heute verkrampft. »Warum können wir nicht einfach sagen: Das sind deutsche Mitbürger, die nur einer anderen Religion angehören?«
Der Protest gegen Antisemitismus muss von der deutschen Mehrheitsgesellschaft kommen, fordert der Pfarrer.
Antisemitismus sei nicht ein Problem der Juden. Antisemitismus gefährde die Demokratie. »In dem Maße, wie eine Gesellschaft Antisemitismus bekämpft, zeigt sie, wie sehr sie in der Lage ist, demokratisches Bewusstsein und demokratische Werte zu verteidigen.«
südafrika Seit er die Apartheid in Südafrika kennengelernt hat, engagiert sich Manneke gegen rechts. Vor seiner Zeit in Unterlüß war er zwölf Jahre als Auslandspfarrer der Evangelischen Kirche in den südafrikanischen Städten Eshowe und Vanderbijlpark südlich von Johannesburg in deutsch- und englischsprachigen Gemeinden tätig. »Die Erfahrungen dort haben mich sensibel gemacht für Themen wie Rassismus, gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, Verletzung der Menschenwürde«, sagt er.
Die Neonazi-Szene habe das erklärte Ziel, die frühere Apartheidpolitik Südafrikas auf die ganze Welt zu übertragen. Mit Sorge beobachtet der Pfarrer, dass viele Jugendliche in der Region für die Parolen der Rechten empfänglich sind.
Es gibt in der Südheide wenige Angebote für sie und wenig Freizeitbeschäftigung. Die Rechten seien zudem nicht mehr so leicht zu erkennen. Bomberjacke und Springerstiefel – das war einmal. Manneke und sein Netzwerk leisten deshalb viel Aufklärungsarbeit in Schulen, kommunalen Jugendtreffs und im Konfirmandenunterricht.
zielscheibe Sein Engagement bleibt nicht ohne Folgen. Immer wieder wird er zur Zielscheibe für Anschläge von Rechtsextremen. Schon ein Jahr, nachdem er mit dem Kampf gegen die Rechten begann, gab es die ersten Racheakte: ein Hakenkreuz an der Kirchentür; Neonazis, die nachts vor seinem Haus standen und brüllten: »Juden raus« und »Am Kreuz soll kein Jude hängen, sondern ein Arier«. Im Internet sei er auf einschlägigen und heute verbotenen Webseiten als »Volksverräter« bezeichnet worden.
»Man solle mich nach Israel oder in die Türkei deportieren, hat dort gestanden.« Das Schlimmste sei der Brandanschlag gewesen: 2011 schleuderten Rechtsextreme einen Molotowcocktail gegen das Pfarrhaus. »Die Flammen schlugen zwei Meter hoch an der Hauswand«, sagt Manneke.
Die Ermittlungen der Polizei führten zu nichts. Manneke erzählt ungerührt von dem Vorfall, so als sei das für ihn nichts Außergewöhnliches. »Wer sich gegen Rechtsextremismus engagiert, der muss mit massiven Anfeindungen rechnen«, sagte er dem Christlichen Medienmagazin »pro«.
motto Trotz der Anfeindungen macht Manneke weiter. »Tu, was dir vor die Hand kommt«, heißt sein Motto, das er aus dem Bibelkapitel Prediger 9, Vers 10, ableitet. Ihm geht es um »Verkündigung in Wort und Tat«. Er sieht sich als »Advokat für benachteiligte Menschen«. Deshalb wird er sich auch kommendes Jahr, wenn er in den Ruhestand geht, weiter in seinem Netzwerk engagieren.
Pastor Wilfried Manneke wird weiter in Schulen und zu Jugendgruppen gehen, um aufzuklären. Und er wird weiter dreimal im Jahr vor dem Hof bei Eschede stehen und ein Schild hochhalten, auf dem steht: »Die Heide blüht lila und nicht braun!«