Bei der Bundestagswahl gilt, von der politischen Öffentlichkeit kaum bemerkt, erstmalig eine gravierende Änderung des Wahlrechts. Sie betrifft Auslandsdeutsche, also deutsche Staatsbürger, die dauerhaft im Ausland leben. Bisher galt, dass diese bei Bundestagswahlen wählen durften, wenn sie vor ihrem Wegzug mindestens drei Monate ununterbrochen hier gelebt hatten; außerdem durfte der Wegzug höchstens 25 Jahre zurückliegen. Jetzt aber können sie über die Zusammensetzung des Bundestags auch mitabstimmen, wenn sie »aus anderen Gründen persönlich und unmittelbar Vertrautheit mit den politischen Verhältnissen in der Bundesrepublik Deutschland erworben haben und von ihnen betroffen sind«.
Unter der Hand wird hier eine Regelung eingeführt, die das Abstammungs- und Schicksalsprinzip wieder salonfähig macht, von dem man sich im Jahr 2000 doch eigentlich verabschiedet hatte. Möglich wurde dieser Rückschritt, weil das Bundesverfassungsgericht 2012 eine Änderung des Wahlrechts in diesem Punkt angemahnt hatte; daraufhin beschloss der Bundestag auf Antrag aller Fraktionen die neue Fassung.
staatsgebiet Aus der Perspektive eines »Demos«-Konzepts, das nicht auf die ethnische Zusammensetzung des Wahlvolks Bezug nimmt, sondern auf die Menschen, die im Staatsgebiet leben, ist die neue Fassung nicht begründbar. Sie erlaubt schließlich Menschen, die nie, nur sehr kurz oder lediglich vor geraumer Zeit einmal in Deutschland gelebt haben und inzwischen dauerhaft in einem anderen Staat leben, über die Frage zu entscheiden, wie sich dieses Land künftig politisch ausrichtet. Dabei sind diese Auslandsdeutschen faktisch nicht Teil des Wahlvolkes, da sie nicht auf dem Territorium leben, auch wenn sie – teilweise – der deutschen Staatsgewalt unterliegen.
Also ist die bei der anstehenden Bundestagswahl zum Zuge kommende Erweiterung des bisherigen Rechts auch eine Abkehr von der weitgehend auf Zustimmung gestoßenen Annäherung des deutschen Rechts an das »Demos«-Konzept. Die Wahlrechtsänderung ist vielmehr von einer Vorstellung von der deutschen Nation getragen, die auf vorpolitischen, das heißt letztlich ethnischen Kriterien beruht und auf eine für politisch relevant erklärte vermeintliche Abstammung beziehungsweise eine kollektive Kulturzugehörigkeitszuschreibung pocht. Es ist das »Ethnos«-Konzept: die Unterstellung einer schicksalshaft gebundenen Einheit aller Deutschen weltweit.
Der Autor lehrt Politikwissenschaft an der Georg-August-Universität Göttingen.