Der Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Abraham Lehrer, warnt vor einem wachsenden »israelbezogenen Antisemitismus« in Deutschland, der auch vor kirchlichen Gruppen nicht haltmache.
Jeder könne eine Entscheidung der israelischen Regierung oder einen sozialen Missstand in Israel aus sachlichen Gründen kritisieren, sagte Lehrer am Montag vor der rheinischen Landessynode in Bad Neuenahr. »In vielen Medienberichten und Äußerungen von Privatpersonen ist die Kritik an Israel jedoch so massiv, dass man spürt: An Israel werden andere Maßstäbe angelegt als an andere Staaten.«
»Wer Israel an den Pranger stellt, muss sich darüber im Klaren sein: Selbst wenn dieses Reden nicht antisemitisch gemeint ist, stärkt es Antisemiten den Rücken«, betont Lehrer.
Dabei schwinge oft eine Schuldabwehr mit, wenn mit einer gewissen Zufriedenheit den Zeigefinger erhoben und gesagt werde: »Schaut, die Juden sind auch keine besseren Menschen. Wir wollen uns nicht mehr die Verbrechen der Nazis vorhalten lassen, denn was die Juden mit den Palästinensern machen, ist auch nicht besser.« Das sei Antisemitismus.
PRANGER Dass die Politik der israelischen Regierung Kritik hervorrufe, findet der Zentralrats-Vize verständlich. »Das rechtfertigt aber nicht, sich pauschal auf die Seite der Palästinenser als vermeintliche Opfer zu schlagen und Israels Existenz anzuzweifeln und – wie in der BDS-Bewegung – den jüdischen Staat zu dämonisieren«, betonte er.
»Wer Israel an den Pranger stellt, muss sich darüber im Klaren sein: Selbst wenn dieses Reden nicht antisemitisch gemeint ist, stärkt es Antisemiten den Rücken«, sagte Lehrer. Gerade von Menschen, die sich im Namen der Kirche äußerten, erwarte die jüdische Gemeinschaft eine hohe Sensibilität und Solidarität.
Der Deutsche Bundestag verurteilt die BDS-Bewegung in ihren Handlungen und Zielen als antisemitisch.
Lehrer rief deshalb die evangelische Kirche zu einer vertieften Debatte über Bewegungen wie BDS auf – und darüber, welche Konsequenzen das für ihr Verhältnis zu Israel habe. Dies gelte umso mehr, als der Nahostkonflikt durch die verstärkte Migration aus muslimisch geprägten Staaten in die Gesellschaft hineingetragen werde.
RESPEKT In seiner Rede würdigte Lehrer den Dialog zwischen rheinischer Kirche und jüdischen Verbänden. »Seit inzwischen langer Zeit gehen unsere Religionsgemeinschaften in gegenseitigem Respekt miteinander um – eine Umgangsform, die in einigen Teilen der Gesellschaft leider aus der Mode gekommen scheint«, betonte Lehrer. Der intensive Dialog zwischen Juden und Christen sei heute wichtiger denn je. »Ihr ehrliches Ringen darum, das gute Verhältnis von Juden und Christen zukunftsfähig zu machen, betrachten wir nicht als selbstverständlich. Die jüdische Gemeinschaft weiß diese Zuwendung zu schätzen.«
Als »Meilenstein« bezeichnete der Zentralratsvizepräsident den von der Landessynode im Jahr 1980 verabschiedeten Synodalbeschluss zur Erneuerung des Verhältnisses von Christen und Juden. Dass die diesjährige Synode sich zum 40-jährigen Jubiläum nicht auf den Lorbeeren ausruhe, sondern vielmehr frage, wo nachjustiert werden müsse, zeichne die rheinische Kirche aus, hob Lehrer hervor. »Diese Nachjustierung ist aus meiner Sicht nötig und sinnvoll. Denn die Welt und auch Deutschland haben sich so stark verändert, dass wir – Juden und Christen – vor neuen Herausforderungen stehen.« epd/ja