Im Schatten des Stadions an der Alten Försterei, in dem die Heimspiele des Berliner Fußballzweitligisten FC Union stattfinden, diskutierten am Donnerstagabend der Fußballkommentator Marcel Reif, der ehemalige Fußballtrainer Hans Meyer und der Pfarrer Gregor Hohberg vom Vorstand des Bet- und Lehrhauses Petriplatz Berlin e. V über »Fußball und Religion«.
Reif, Meyer und Hohberg waren nicht nur auf Einladung des FC-Union-Wirtschaftsrates, sondern auch des Vereins »Bet- und Lehrhaus Petriplatz Berlin« gekommen. Der Verein will ein gemeinsames Haus für die drei monotheistischen Religionen, Judentum, Islam und Christentum, in Berlins Mitte errichten.
»Die Idee gefällt mir«, sagte Marcel Reif und begründete es mit seiner Familiengeschichte. »Ich bin weder katholisch noch evangelisch noch jüdisch. Aber mein Vater war Jude, meine Mutter war eine schlesische Katholikin.« Religionen, die sich etwas zu sagen hätten, unter einem Dach versammelt, das sei ein gutes Projekt. »Deswegen gefällt mir die Idee des Bethauses so.«
Religionsgemeinschaft Einen Vergleich des geplanten Bet- und Lehrhauses mit einem gemeinsamen Stadion der untereinander verhassten Berliner Fußballclubs Hertha, Union und Dynamo, den Gregor Hohberg bemühte, lehnte Reif ab. »Ich wäre dankbar, wenn man die Kirche im Dorf ließe. Das ist nach meinem Verständnis etwas anderes als das Lehrhaus.« Anders als Mitglieder einer Religionsgemeinschaft hätten Fußballfans das Recht, die anderen rigoros abzulehnen. »Fans dürfen so etwas.«
Fußball ist für Reif eine eigene Welt, nicht rational erklärbar und höchst magisch. Der 64-jährige Journalist berichtete, dass derzeit ein Film über sein Leben gedreht wird. 1949 in Polen geboren, ging die Familie 1956 nach Israel, kurze Zeit später zog sie nach Kaiserslautern.
»Mein Vater hatte mich in Warschau zum ersten Mal zum Fußball mitgenommen, zu Legia Warschau. Da war ich vier Jahre alt. Ich erinnere mich noch, dass zwei Nationalspieler dort spielten, und sie gingen direkt an mir vorbei, an einem Weg, der zum Stadion führte.« Vor drei Wochen war Reif mit einem Fernsehteam zu den Dreharbeiten in Polen. »Ich sah mich um und sagte: Das ist der Weg.. Ich habe diesen Weg gesehen, es war wie vor 57 Jahren. Das ist nicht zu erklären, nicht rational. Da ist so viel Emotion, tiefstes Unterbewusstsein.«
Schaltstelle Die Gesprächspartner in der Alten Försterei fanden viele Gemeinsamkeiten, die Fußball mit Religion habe. »Religion ist wie auch Fußball eine persönliche, eine individuelle Geschichte«, führte ein nachdenklicher Reif aus. »Es geht um die Frage: Was stiftet Sinn? Das Sinnstiftende ist die Schaltstelle von Fußball und Religion.« Dieser Frage ginge doch jeder Mensch nach. »Es gibt Menschen, die keinen Zugang zu Religion finden und die sich dann stattdessen fanatisch, damit meine ich nicht gewalttätig, dem Fußball zuwenden – eben, weil sie zur Religion nicht finden.«
Hans Meyer, der bereits in der DDR Fußball gespielt hatte und in beiden deutschen Staaten als Trainer Erfolge hatte, versuchte, die Faszination des Fußballs zu beschreiben. »Freude verbreiten – das ist das, was Fußball kann.« Er selbst sei immer schon vom Fußball »magisch angezogen« worden – »ohne dass ich sagen kann, warum«. Vielleicht daher: »Fußball bildet unter den Menschen eine richtige Gemeinschaft.« Das hat Meyer auch dort beobachtet, wo man nur Individualisten vermutet. Er hat nämlich eine Weile das Auswahlteam der deutschen Schriftsteller, die Autonama (Autorennationalmannschaft), betreut: »Die von der Autonama, die hingen alle einem Traum nach, sie wollten dazugehören.«
Doch übertreiben will Meyer, der mittlerweile nur noch im Präsidium den Bundesligisten Borussia Mönchengladbach berät, nicht. »Die Sache mit ›Gott und Fußball‹ relativiert sich, wenn man, wie ich, mit so vielen Fußballgöttern zu tun hatte«, sagte der 71-Jährige, der schon mit 28 Jahren Trainer wurde.
Distanz Meyer plädierte für Distanz. Dass der Bayern-München-Trainer Pep Guardiola jüngst mit dem Ausspruch zitiert wurde, bei einem Champions-League-Spiel ginge es um »Tod oder Leben«, passte Meyer gar nicht. Er schätze Guardiola sehr, aber: »So ein Satz passt zu ihm gar nicht. Das ist ein dummer Satz.« Für Meyer selbst gelte: »So wichtig war Fußball für mich nie.«
Auch bei Jürgen Klopp, Cheftrainer des Bundesligisten Borussia Dortmund, erkannte Meyer eine gefährliche Entwicklung, dass alle Schranken fallen. »Eigentlich muss man das später seiner Frau, seinen Kindern, seinen Eltern zeigen«, kommentierte Meyer die jüngsten Ausraster Klopps. »Ich wünsche mir, dass klar wird, dass es so nicht geht.«
Marcel Reif hingegen verteidigte die Eigenwelt des Fußballs, in der so etwas möglich sei. »Für mich ist Fußball 90 Minuten lang das Wichtigste der Welt. Aber nach 90 Minuten ist wieder wirkliches Leben.« Wenn einer im Stadion, auf dem Platz oder auch in der Reporterkabine unendliche Hingabe zeige – »daran kann ich nichts Verwerfliches finden«. Ohne Leidenschaft werde der Fußball freudlos, so Reif. Und so einen Sport wolle doch keiner sehen.