Hastig quetscht sich ein älteres Ehepaar durch den engen Türspalt. Und schon schließt der Einlasskontrolleur den Zugang zur »Ladengalerie« der linksradikalen Zeitung »Junge Welt«. Der Raum ist hoffnungslos überfüllt. Doch vor der Tür drängeln sich noch immer 50, 60 Menschen. Sie sind am vergangenen Freitag nach Berlin-Mitte gekommen, um ihn zu sehen: den umstrittenen amerikanischen Historiker Norman G. Finkelstein. Er soll an diesem Abend einen Vortrag über »Israel, Palästina und der Goldstone-Bericht über den Gazakrieg« halten. Mehr als 200 Zuhörer sitzen auf Stühlen, stehen seitlich an den Wänden, hocken auf dem Boden und nutzen selbst die kleinste Lücke, um sich so hinzustellen, dass sie die aufgebaute Videoleinwand sehen können. Mit Erzählungen von Reisen in den Nahen Osten stimmen sie sich auf eine Veranstaltung ein, bei der Israel ausschließlich Palästina genannt werden wird und auch sonst ziemlich schlecht dasteht.
Konserve Doch Finkelstein wird nicht kommen. Das wissen alle. Er wird nicht einmal live zugeschaltet werden. Nach heftiger Kritik im Vorfeld der Veranstaltung sagte der Israelkritiker und umstrittene Autor (Die Holocaust-Industrie) seine Deutschlandreise ab. Erst zog die Heinrich-Böll-Stiftung nach Protesten ihr Raumangebot zurück, dann die Rosa-Luxemburg-Stiftung, was wiederum Politikern der Linkspartei um Sahra Wagenknecht und Norman Paech missfiel. Schließlich bot die Junge Welt dem Veranstalter »Arbeitskreis Nahost« ihre Ladengalerie an.
Dort gibt es allerdings nur Konservenkost, und zwar den Videomitschnitt eines Vortrags, den Finkelstein am 23. Februar in Prag gehalten hat. Es ist stickig, alle starren wie gebannt auf die weiße Leinwand. Als die hohe, etwas brüchige Stimme Finkelsteins zu hören ist, wird es still im Raum. »Israel hat kein Recht auf Gaza«, sagt er in nüchternem Ton. Das Land müsse endlich anerkennen, dass jüdische Siedlungen illegal sind. »Illegal«, »ungerecht« – an solchen Wörtern finden die Zuhörer Gefallen. Der Sohn eines Schoaüberlebenden, der Israel heftig angeht – das kommt in der Ladengalerie gut an. Beifall für den Video-Mann.
kopfschütteln Auch Nida Bulbul klatscht. Der junge Journalist aus Gaza berichtet von seinen Arbeitsbedingungen – und zeigt ein Video: Explosionsrauch ist zu sehen, Schüsse sind zu hören, als Pressevertreter gekennzeichnete Menschen stürzen zu Boden und bleiben blutend liegen. Einige Zuhörer klammern sich verschreckt an ihre Jacken und schütteln den Kopf. Bulbul atmet tief durch und erzählt mit zitternder Stimme, wie schwer es für ihn sei, nach Gaza hinein- und wieder herauszukommen. Ein Mann Mitte 50 flüstert einer Frau neben sich zu: »Das gibt es doch gar nicht.« Eine rot-schwarz-grüne Kiste wird durch die Stuhlreihen gereicht. 20- und 50-Euro-Scheine verschwinden in dem Schlitz. »Halt the Massacre of the Palestine People« steht auf der Holzschachtel. Die 1,5 Millionen Menschen würden von Israel unterdrückt, heißt es immer wieder.
Auch Yahav Zohar sieht das so. Der Israeli ist Mitglied von ICAHD, einer Nichtregierungsorganisation, die gegen die Zerstörung von palästinensischen Häusern protestiert. »Deutschland und die EU verstoßen mit permanenten Waffenlieferungen gegen Menschenrechte«, sagt Zohar. »Man muss israelische Produkte boykottieren!« – eine Forderung, die dem Publikum gefällt. Lautstark wird applaudiert: ein israelkritischer Israeli, »der endlich mal das offen ausspricht, was in der Gesellschaft als Tabu gilt«, sagt ein Besucher. Es klingt erleichtert. Der Mann findet keine guten Worte für Israel, ist eher besorgt um die Zukunft der Palästinenser. Dass Finkelstein nicht gekommen ist, interessiert ihn kaum. Vielleicht ist der Historiker aus den USA ja ohnehin bald leibhaftig zu bewundern. Denn der Inhalt der Spendenkiste kommt nicht dem palästinensischen Volk zugute, sondern Finkelstein. 539,02 Euro wurden gespendet. Das reicht für ein Flugticket.