Der Gedenkstätten-Pädagoge Daniel Burghardt von der »Initiative Kritisches Gedenken Erlangen« äußert sich besorgt über Parallelen und Kontinuitäten zwischen dem antisemitischen Doppelmord an Shlomo Lewin und Frida Poeschke vor 40 Jahren in Erlangen und rechten Morden in der Gegenwart.
TERROR »Die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit rechtem Terror und rechter Gewalt ist von Nichtwahrnehmung und Vergessen geprägt«, sagte Burghardt dem Evangelischen Pressedienst (epd) in einem Interview. Nach anfänglichen Beileids- und Trauerbekundungen von offizieller Seite folge schnell ein Schlussstrich.
Am 19. Dezember 1980 wurden Lewin und seine Lebensgefährtin in ihrem Wohnhaus mit jeweils vier Pistolenschüssen ermordet. Der mutmaßliche Täter, ein Mitglied der verbotenen rechten »Wehrsportgruppe Hoffmann«, beging vermutlich Suizid.
Zum 40. Jahrestags des Mordes sollte am Samstagabend, dem 19. Dezember, eine Gedenk-Kundgebung an der Lewin-Poeschke-Anlage in Erlangen mit anschließender Demonstration stattfinden. Das Interview führte der epd vorab mit Daniel Burghardt.
epd: Herr Burghardt, Sie sind Teil der »Initiative Kritisches Gedenken Erlangen«. Sie haben sich gegründet, um an den Doppelmord an Shlomo Lewin und Frida Poeschke in Erlangen vor 40 Jahren zu erinnern. Was ist damals geschehen?
Daniel Burghardt: Lewin und seine Lebensgefährtin Poeschke wurden am 19.12.1980 in ihrem Wohnhaus in der Erlanger Ebrardstraße mit jeweils vier Pistolenschüssen ermordet. Gemeinsam setzten sich Poeschke und Lewin für die christlich-jüdische Verständigung ein und Lewin war Rabbiner und Vorsitzender der israelitischen Kultusgemeinde in Nürnberg. Der Anschlag galt Lewin, Poeschke wurde ermordet, weil sie Zeugin wurde. Nach der Selbstenttarnung des »Nationalsozialistischen Untergrund« (NSU) 2011 haben verschiedene antifaschistische Gruppen in Erlangen jedes Jahr zum Jahrestag der Ermordung von Poeschke und Lewin am 19. Dezember ein öffentliches Gedenken in der Erlanger Innenstadt veranstaltet. Aus diesem Engagement gründete sich dann 2019 die ehrenamtliche Initiative.
Sie wollen über die Morde aufklären?
Einen rechten Tathintergrund verfolgten die staatlichen Behörden nur sehr oberflächlich und ermittelten stattdessen schließlich über Monate hinweg im Umfeld der Kultusgemeinde. Die am Tatort gefundenen Beweisstücke hätten allerdings von Beginn Schlüsse auf das Umfeld der Wehrsportgruppe Hoffmann nahegelegt. Der mutmaßliche Täter setzte sich kurz nach der Ermordung Lewins und Poeschkes in den Libanon ab, wohin die »Wehrsportgruppe« mit ihrer Nachfolgeorganisation »WSG Ausland« gute Kontakte pflegte. Dort kam er durch ungeklärte Umstände ums Leben –vermutlich tötete er sich selbst. Wir wollen an Lewin und Poeschke erinnern und die Verhältnisse anklagen, die sie zu Opfern gemacht haben und die noch heute existieren.
40 Jahre sind eine lange Zeit. Welche Verbindung sehen Sie zu heute?
Wir beobachten Parallelen und Kontinuitäten zwischen dem Mord vor 40 Jahren und rechten Morden in der Gegenwart. Die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit rechtem Terror und rechter Gewalt ist von Nichtwahrnehmung und Vergessen geprägt. Wenn es dann doch zu einer – meist oberflächlichen – Auseinandersetzung kommt, folgt oftmals nach anfänglichen Beileids- und Trauerbekundungen von offizieller Seite schnell ein Schlussstrich, damit man zu einem positiven kollektiven Selbstbild zurückkehren kann. Die deutsche Mehrheitsgesellschaft gibt vor, geläutert aus der Geschichte des Nationalsozialismus hervorgegangen zu sein. Das funktioniert deshalb, weil rechte Morde oftmals externalisiert werden auf randständige Gruppen wie Rechtsextreme oder vermeintlich psychisch kranke Einzeltäter. Wir vermissen eine Reflexion darauf, was die Mehrheitsgesellschaft mit den Taten zu tun hat oder welche Verhältnisse rechte Mordanschläge erst ermöglichen.
Nach den rassistischen und antisemitischen Morden des »Nationalsozialistischen Untergrund« (NSU), in Hanau oder Halle kehren wir zu schnell wieder zur Tagesordnung zurück?
Mittlerweile wird der Opfer rechter Morde auch von offizieller Seite immer häufiger gedacht, aber ohne eine ganzheitliche Betrachtung der Morde. Wenn Gedenken zum Zweck haben soll, dass sich solche Taten nicht wiederholen, dann dürfen wir uns nicht nur mit den Tätern beschäftigen, sondern müssen fragen, warum solche Taten heute noch und immer wieder möglich sind. Dazu gehört, den Opfern und ihren Hinterbliebenen öffentlich Gehör zu verschaffen.
Nach den NSU-Morden wurde vor allem im privaten Umfeld der Opfer ermittelt, in Berichten war despektierlich und diskriminierend von »Döner-Morden« die Rede. Wie hat die Öffentlichkeit auf die Morde an Poeschke und Lewin reagiert?
Die Ermittlungen im Mordfall vor 40 Jahren konzentrierten sich vor allem auf das persönliche Umfeld, wie auch beim NSU. In den ersten Monaten wurden 1.500 Zeugen angehört, zum einem großen Teil aus dem Bekannten- und Freundeskreis der Opfer. Bei der Beerdigung von Lewin in Haifa waren zwei Beamte des bayerischen Landeskriminalamtes anwesend, um die Trauernden auszuspionieren. Auch damals gab es keinen Aufschrei und keine nennenswerten Beileidsbekundungen und Trauergesten der Mehrheitsgesellschaft. Jahrzehnte nach der Schoa wurde ein bekannter Repräsentant der jüdischen Gemeinde ermordet und die Opfer erfuhren keine gesamtgesellschaftliche Solidarität. Mehr noch, sie wurden öffentlich diffamiert. Die deutsche Gesellschaft begegnet rechten Morden damals wie heute oftmals mit Desinteresse. Von diesem Klima der Gleichgültigkeit fühlen sich rechte Mörder bestätigt, ihre Ideologie in die Tat umzusetzen.
Wie erklären Sie sich diese Respektlosigkeit den Opfern gegenüber?
Vor allem Lewin wie auch die zahlreichen Opfer des NSU wurden nicht als Teil der Mehrheitsgesellschaft angesehen. Dadurch kommt keine ernsthafte Solidarisierung mit den Opfern zustande, sie bleiben außen vor. Die Medien spiegelten die Haltung »Was geht mich das an?« wider in ihren Berichten über angebliche zwielichtige Machenschaften Lewins, die sich als falsch herausstellten. Plötzlich sei Lewin selbst schuld gewesen an seiner Ermordung. Diese Kälte wurde schon damals von dem Umfeld Lewins kritisiert und reflektiert. Lewins Cousin sagte in seiner Trauerrede, dass zusätzlich Lewins »geistige Ermordung« durch Bevölkerung und durch die Medien stattgefunden habe.