Am 4. Januar 1995 verlegte der Künstler Günter Demnig in Köln die ersten mit einer Messingplatte versehenen Betonsteine zum Andenken an die während der Schoa deportierten Juden wie auch an andere Verfolgte. Als »Stolpersteine«, jeweils auf den Bürgersteigen vor den Wohnungen der Deportierten, sind diese Dokumente der Erinnerung mittlerweile in ganz Deutschland und auch in anderen Ländern verbreitet. Die über 40.000 Stolpersteine sind bewusst schlicht gehalten. Sie erwähnen in der Regel neben dem Namen nur die Lebensdaten, den Deportationstermin und – falls bekannt – den Deportationsort.
Demnigs Absicht war es, den anonymen und in den Lagern zu Nummern degradierten Menschen vor ihrem ehemaligen Zuhause wieder ihren Namen zurückzugeben. Scheinbar triviale Orte werden somit zu Erinnerungsorten einer tragischen Geschichte und lassen die Passanten im übertragenen Sinne stolpern.
pro und contra Vielerorts stieß Demnigs Initiative auf Zustimmung. Doch gab es auch Bedenken. So hielt die ehemalige Präsidentin des Zentralrats, Charlotte Knobloch, es für unerträglich, dass auf dem Andenken der Toten mit Füßen herumgetreten werde, und plädierte für andere Arten des Gedenkens. In München wurden daher lediglich auf privatem Grund Stolpersteine verlegt. Für Demnig ist das Einlassen in den Bürgersteig dagegen ein Akt der Ehrbezeugung: »Wer den Namen des Opfers lesen will, muss sich herunterbeugen. In diesem Moment verbeugt er sich vor ihm.«
Demnigs Stolpersteine-Aktion begann nicht zufällig 50 Jahre nach Kriegsende. Der viel zitierte »Schlussstrich« unter die NS-Vergangenheit wurde in Deutschland nicht gezogen. Doch die richtige Art des Gedenkens war Gegenstand heftiger Diskussionen. Hatte Bundespräsident Richard von Weizsäcker zehn Jahre zuvor beim 40. Jahrestag des Kriegsendes in seiner viel gelobten Rede eine neue Ära des Gedenkens eröffnet, so sorgte Bundeskanzler Helmut Kohl für Irritationen, als er ein Jahrzehnt später den Entwurf für ein Holocaust-Mahnmal mit den Namen aller Opfer ablehnte.
Zwei Jahre vorher hatte Kohl eine zentrale Gedenkstätte für die »Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft« in der Neuen Wache in Berlin einrichten lassen. Kehrte man damit nicht alles über einen Haufen und machte auch die Täter zu Opfern?, fragten Kritiker. Auch der 9. November war seit 1989 nicht mehr nur ein Tag des Gedenkens an die Pogromnacht 1938, sondern auch ein Tag des Jubels über die deutsche Wiedervereinigung geworden. Das Gedenken war 1995 komplexer als ein Jahrzehnt vorher. Die Auseinandersetzungen um die Stolpersteine zeigen, wie schwierig es geworden ist, die richtige Form des Gedenkens an die Opfer zu finden.