Nach Willy Brandts Israel-Reise 1973 besuchte mit Helmut Kohl im Januar 1984 zum zweiten Mal ein Bundeskanzler den jüdischen Staat. Die Visite stand unter denkbar ungünstigen Vorzeichen. Die Beziehung zwischen den beiden Regierungen war seit der heftigen Auseinandersetzung zwischen Helmut Schmidt und Menachem Begin angespannt.
In Israel war mittlerweile Jitzchak Schamir an die Macht gekommen, doch saß er noch nicht fest im Sattel. Kurz vor Kohls Besuch überstand Schamir eine Abstimmung in der Knesset nur mit äußerst knapper Mehrheit. Die Diskussion um geplante Waffenverkäufe nach Saudi-Arabien belastete das Verhältnis zwischen den beiden Ländern.
fettnäpfchen Der 1930 geborene Helmut Kohl erhielt als Mitglied der Hitlerjugend eine paramilitärische Ausbildung, über die am Abend vor seinem Besuch im israelischen Fernsehen berichtet wurde. Kohl wusste von diesem Bericht nichts, als er tags darauf von der »Gnade der späten Geburt« sprach.
Dieses später oft zitierte Wort stieß sofort auf heftige Kritik in Israel. Asher Ben-Nathan, der ehemalige israelische Botschafter in Bonn, kommentierte es folgendermaßen: »Ich glaube, Kohl hätte es uns Israelis überlassen sollen, daraus Schlüsse zu ziehen, aber nicht selbst damit hausieren sollen. Denn es besagt überhaupt nichts, dass er zufällig das Glück hatte, fünf Jahre zu spät geboren zu sein … Indem der Bundeskanzler die Tatsache seines Geburtsjahres immer wieder betonte, hat er sie eigentlich entwertet.«
Dass Kohl zudem von Verbrechen, die »im Namen von Deutschen« begangen wurden, sprach, dass sein Regierungssprecher Boenisch den Israelis riet, Auschwitz nicht für die praktische Politik zu instrumentalisieren, und dass mit Kurt Ziesel ein Journalist, der zu anderen Zeiten für den »Völkischen Beobachter« geschrieben hatte, der deutschen Delegation angehörte, trug nicht zur Besserung des Klimas bei.
Organisation Die israelische wie auch die deutsche Presse sprach von unsensiblem Verhalten des Kanzlers und von den vielen Fettnäpfchen, in die er trat. Ein Jahr darauf trat Kohl in einen weit größeren Fettnapf, als er darauf bestand, trotz lautstarker Proteste jüdischer Organisationen gemeinsam mit dem amerikanischen Präsidenten Reagan den Soldatenfriedhof in Bitburg mit seinen Waffen-SS-Gräbern zu besuchen.
Ein Jahrzehnt später jedoch machte Kohl alles richtig, als er zum zweiten Mal während seiner langen Amtszeit nach Israel reiste. Es mag ein langer Lernprozess gewesen sein, aber auch an den veränderten Umständen gelegen haben. Jetzt hieß sein Gegenüber Yitzhak Rabin, der Friedensprozess schien in vollem Gange und die deutsch-israelischen Beziehungen auf dem besten Weg der Normalisierung zu sein.