Die jüdischen Gemeinden in der Bundesrepublik hatten von Anfang an ihre eigene Geografie. München war während der ersten Nachkriegsjahre der Mittelpunkt jüdischen Lebens. Hier waren die Zentren der Displaced Persons und der amerikanischen Hilfsorganisationen. Düsseldorf wurde ab den 50er-Jahren zum Sitz der deutsch-jüdischen Institutionen, allen voran des Zentralrats und der Jüdischen Allgemeinen.
Die heimliche Hauptstadt des jüdischen Lebens aber war über mehrere Jahrzehnte hinweg Frankfurt am Main. Als Finanzmetropole und geografischer Mittelpunkt der alten Bundesrepublik zog sie in den 50er- und 60er-Jahren jüdische Zuwanderer an wie keine zweite Stadt. Die größte Kommune Hessens bot ihnen in der Zeit des bundesdeutschen Wirtschaftswunders weitaus mehr Chancen als andere Städte. Gleichzeitig wehte um die Universität und das städtische Kulturleben ein Hauch des Aufbruchs, wie man ihn anderswo in der Bundesrepublik nicht fand. So bildete sich am Main eine weltoffene, fortschrittliche und mitunter revolutionäre politische Szene heraus.
intellektuelle Es war daher kein Zufall, dass sich ausgerechnet in Frankfurt 1980 die erste »Jüdische Gruppe« bildete. Um Intellektuelle wie Dan Diner, Micha Brumlik und Cilly Kugelmann herum entstand ein kritisches Forum, das die offizielle Gemeindepolitik ebenso hinterfragte wie die israelischen Regierungspositionen.
Zunächst einmal war die Jüdische Gruppe als Austausch unter Intellektuellen, die sich von den offiziellen Gemeindestandpunkten nicht mehr vertreten fühlten, von Bedeutung. Etwa 40 bis 50 Personen fühlten sich der Gruppe zugehörig und formierten alternative Ansichten zu Fragen der »Mischehe« oder der deutsch- jüdischen Identität. Aus der Gruppe ging die Zeitschrift Babylon hervor, in der zahlreiche Mitglieder ihre Spuren hinterließen.
Im Laufe der Jahre geriet Israel immer mehr in den Fokus der Debatten. Insbesondere nach dem Libanon-Krieg im Sommer 1982 richtete sich das Hauptaugenmerk der Jüdischen Gruppe auf die Politik des jüdischen Staates, gegen die man auch in der Öffentlichkeit demonstrierte. Die Zerrissenheit der israelischen Öffentlichkeit spiegelte sich in den innerjüdischen Debatten in Deutschland wider.
Zwischenzeitlich hatten sich ähnliche Gruppen in Berlin, Hamburg, Düsseldorf und Köln gegründet. In München war bereits 1979 die vom Bundesverband Jüdischer Studenten herausgegebene und von Ellen Presser, P. J. Blumenthal und Israel Feder redigierte Zeitschrift Cheschbon gegründet worden, in der Henryk Broder, Micha Brumlik und Maxim Biller Aufsätze veröffentlichten.