Rückblende

1968: Uraufführung von »Anatevka«

Shmuel Rodensky als Tevje Foto: dpa

Das Schicksal des osteuropäischen Schtetls war mit dem Einmarsch der deutschen Truppen in Polen 1939 besiegelt. Alles, was sechs Jahre später übrig geblieben war, war ein großer Friedhof. In der Literatur aber lebte das Schtetl, das jiddische Schriftsteller wie Mendele, Peretz und Scholem Aleichem verewigt hatten, weiter.

Letzterer erlangte 1964 weltweite Berühmtheit, als die Musical-Adaption seiner Geschichte von Tevje, dem Milchmann, den Broadway eroberte. Zehn Jahre lang blieb Fiddler on the Roof der erfolgreichste Broadway-Hit. Im Februar 1968 dann kam das Stück in Deutschland unter dem Titel Anatevka mit Shmuel Rodensky in der Hauptrolle auf die Bühne des Hamburger Operettenhauses.

ostberlin Das Musical wurde eine deutsch-deutsche Erfolgsgeschichte, als es 1971 in einer Inszenierung von Walter Felsenstein auch unter dem Titel Der Fiedler auf dem Dach auf den Spielplan der Komischen Oper in Ostberlin kam. Von 1971 bis 1988 wurde es dort 506-mal aufgeführt und von mehr als einer halben Million Menschen gesehen. Doch nicht nur im Titel unterschied sich die DDR-Fassung von den westdeutschen Aufführungen: Die antijüdische Stimmung in Russland durfte im Bruderland DDR nicht zum Ausdruck kommen, der Pogrom wurde daher zur »inoffiziellen Belästigung« verniedlicht, und auch die »Goldene Medine« Amerika verschwand als Auswanderungsland.

Zum vielleicht beliebtesten Tevje-Darsteller zunächst in Frankreich, dann auch auf westdeutschen Bühnen, wurde ein Deutscher: Ivan Rebroff, dessen eigentlicher Name Hans Rolf Rippert lautete und der genauso russisch war wie Tevje Amerikaner. Rebroffs Bruder übrigens ist der ehemalige ZDF-Sportreporter Horst Rippert, der vor wenigen Jahren angab, als Pilot der Luftwaffe im Zweiten Weltkrieg das Flugzeug von Antoine Saint-Exupéry, dem Autor des Kleinen Prinzen, abgeschossen zu haben.

normalisierung Mit Anatevka beziehungsweise Fiedler auf dem Dach nahm 1968, nach einer langen Zeit der ungewissen Distanzierung, das Jüdische Einzug in die deutsche Populärkultur. Vor allem Israelis, von Abi und Esther Ofarim über Daliah Lavi bis zu Ephraim Kishon, trugen das ihre dazu bei.

Ob Schtetl-Romantik oder israelische Popmusik: Man hatte nun einen Zugang zur jüdischen Kultur gefunden, der sich nicht auf die Bilder der Leichenberge von Bergen-Belsen und Buchenwald und die Berichterstattung vom Eichmann- oder Auschwitzprozess reduzieren ließ. Es durfte wieder gelacht und geklatscht werden. Der lange Weg der »Normalisierung« zwischen Juden und Deutschen hat im ukrainischen Dorf Anatevka angefangen.

Präsident des Internationalen Auschwitz Komitees

Marian Turski ist gestorben

Noch Ende Januar mahnte Turski: »Unsere Tage, die der Überlebenden, sind gezählt: Aber wir werden nicht verstummen, wenn Sie, Sie alle nicht schweigen.«

 18.02.2025

Ukraine

»Sie haben uns von allem befreit«

Wie haben sich drei Jahre Krieg auf die Juden in der Ukraine ausgewirkt?

von Michael Gold  18.02.2025

Interview

Haben Sie genug für Israel und für Juden in Deutschland getan, Herr Bundeskanzler?

Olaf Scholz (SPD) über die deutsche Staatsräson, seine Grünen-Koalitionspartner und die Bilanz der Ampel-Regierung bei jüdischen Themen

von Mascha Malburg, Philipp Peyman Engel  18.02.2025

KZ-Gedenkstätte Buchenwald

Mehr Gegenstände aus Menschenhaut

Verstörende Erkenntnisse des Kriminalbiologen Mark Benecke im früheren Konzentrationslager

 18.02.2025

Nahost

Tausende erinnern an Schicksal der Hamas-Geiseln

Die Menschen demonstrieren für die seit 500 Tagen im Gazastreifen leidenden Verschleppten. Einer, der erst kürzlich die Freiheit wiedergewann, sagt: Viel Zeit haben die anderen nicht mehr

 18.02.2025

Interview

»Wir müssen die Probleme lösen, die die AfD groß gemacht haben«

Christian Lindner über Abstimmungen mit der AfD, deutsche Finanzhilfen an die Palästinenser und Renten für Schoa-Überlebende

 17.02.2025

Bundestagswahl

Schuster: Jüdisches Leben wäre durch AfD-Regierung bedroht

Auch das europäische Ausland blickt gespannt auf die Wahl in Deutschland. Was eine Machtbeteiligung der AfD für jüdisches Leben bedeuten könnte, hat jetzt Zentralratspräsident Schuster in Italien gesagt

von Ludwig Ring-Eifel  17.02.2025

Bundestagswahl

»Die Bürger haben ihr Urteil über die Ampel längst gefällt«

Der Wahlforscher Stefan Merz von Infratest dimap über die Stimmungslage eine Woche vor der Bundestagswahl

von Michael Thaidigsmann  17.02.2025

Bundestagswahl

Zentralrat der Juden mahnt zur Kompromissfähigkeit

Josef Schuster schreibt der kommenden Legislaturperiode des Bundestags »eine Schlüsselrolle für unsere Demokratie« zu

 17.02.2025