Rabbiner waren in den ersten Jahrzehnten nach der Schoa Mangelware in Deutschland. Zwar gab es einige hier geborene Toragelehrte, die aus der Emigration zurückgekehrt waren, um den wiedergegründeten Gemeinden eine religiöse Grundlage zu geben, doch wollte kaum einer von ihnen dauerhaft in Deutschland bleiben. Als sich im März 1957 die Rabbinerkonferenz gründete, gehörte ihr kaum mehr als eine Handvoll Mitglieder an.
Im Osten Berlins amtierte bis zu seinem Tod Martin Riesenburger (1896–1965), der zwar vor 1933 an der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums studiert, aber keine ordentliche Smicha erhalten hatte und daher noch 1957 in einem offiziellen Schreiben des Verbandes der Jüdischen Gemeinden in der Deutschen Demokratischen Republik aus dem Jahre 1957 als »Rabbiner« in Anführungsstrichen bezeichnet wurde, »der im Bereich des Verbandes der Jüdischen Gemeinden in der Deutschen Demokratischen Republik keine Tätigkeit ausübt und auch keinen Auftrag zu einer solchen hat«.
Den DDR-Behörden war der »rote Rabbiner« jedoch wohlgesonnen, und mit zunehmender Gleichschaltung der Gemeinden wurde er als einziger Rabbiner für alle Juden Ostdeutschlands anerkannt.
hochstapler Im Westen der Stadt stellte die rund 6000 Mitglieder zählende Gemeinde nach einigen fehlgeschlagenen Versuchen, einen Rabbiner zu finden, im Januar 1957 einen gewissen Dr. Isaak Goldstein ein, der angeblich »Großrabbiner« von Bukarest gewesen sei. In Berlin angekommen, beanspruchte er sogleich den Titel »Oberrabbiner des Landes Berlin«.
Als die Gemeinde Erkundigungen über Goldstein einzog, erhielt sie die Auskunft, dass er nur für kurze Zeit als Rabbiner einer kleinen rumänischen Gemeinde amtiert hatte und dass er in Bukarest unter dem Namen Pater Erwin (oder auch Dr. Erwin Pater) bekannt sei. Zudem sei Goldstein in Rumänien, Israel und Frankreich wegen verschiedener Delikte auffällig geworden. Manchen Angaben zufolge sei er gar zum Christentum übergetreten. Noch vor den Hohen Feiertagen wurde Goldstein im September 1957 fristlos entlassen.
Der gefeuerte Rabbiner rächte sich auf seine Weise. So führte er im Januar 1960 ein Interview mit der »Deutschen Soldaten-Zeitung«, in dem er den Holocaust in Rumänien verharmloste und zudem dem rechtsradikalen Blatt »bewunderungswürdige Klarheit ... und Mut« zugestand, während er die Vertreter der jüdischen Gemeinde, gegen die er auch vor Gericht zog, heftig verurteilte. Goldsteins Frau Georgette publizierte später ein Buch über diese Affäre, die in der nicht gerade eintönigen Geschichte der Juden in der Bundesrepublik gewiss eine der skurrilsten Episoden darstellt.