Am 21. Oktober 1945 besucht David Ben Gurion jüdische Überlebende in Landsberg am Lech. Ein symbolträchtigerer Ort als die oberbayerische Kleinstadt ist kaum vorstellbar. In Landsberg hatte Hitler während seiner Festungshaft 1924 Mein Kampf geschrieben, hier stand in den letzten Kriegsmonaten der größte KZ-Komplex innerhalb des Deutschen Reichs, und Ende 1945 beherbergte die Stadt 7.000 jüdische DPs – so viele lebten sonst kaum anderswo.»
DPs (Displaced Persons) nannten die Alliierten die aus ihren meist osteuropäischen Heimatländern auf Todesmärschen während der letzten Kriegsmonate vertriebenen oder vor neuer antisemitischer Gewalt flüchtenden Überlebenden. «Sche’erit Hapleta», Rest der Geretteten, nannten sie sich hebräisch selbst. Der Staat Israel bestand noch nicht, die Tore Amerikas blieben weitgehend verschlossen. Die US-Zone Deutschlands war für die meisten DPs, insgesamt wohl eine Viertelmillion, das Sprungbrett auf dem Weg heraus aus Europa.
Erlösung Nachdem sie ihre Heimat und ihre Familien verloren hatten, sehnten sie sich nichts mehr herbei als die Gründung des jüdischen Staates. Ben Gurion zu erleben, war für viele der Beginn ihrer Erlösung. Der amerikanisch-jüdische Armeemajor Irving Heymont, dem das DP-Lager unterstellt war, notierte über den Besuch: «Für die Menschen im Lager ist er ein Gott – der Inbegriff all ihrer Hoffnungen, nach Palästina zu gelangen. (…) Ich glaube nicht, dass ein Besuch Präsident Trumans eine solche Erregung hervorrufen könnte.»
Der Tag von Ben Gurions Besuch hatte für die Landsberger DPs noch eine zweite wichtige Bedeutung. Im Lager standen Wahlen zur Selbstverwaltung an. Julius Spokojny, der im Namen der zionistischen Jugend Ben Gurion offiziell begrüßte, erinnerte sich später, dass es auch wenige Monate nach dem gemeinsam erlebten Leid keineswegs harmonisch zuging: «Da sind die Revisionisten mit Lautsprechern herumgegangen und haben, in Anspielung auf das Salomonische Urteil, gesagt: Ben Gurion ist die falsche Mutter, er will den Staat Israel zerteilen.»
Im November 1950 wurde das DP-Lager Landsberg aufgelöst. Die meisten seiner ehemaligen Bewohner fanden eine neue Heimat in Israel, Ame- rika oder Australien. Manche von ihnen aber halfen, neue jüdische Gemeinden in Deutschland aufzubauen, so wie Julius Spokojny in Augsburg.
Der historischen Landkarte des jüdischen Deutschlands müssen seit jenen Jahren neue Orte hinzugefügt werden. Neben Worms und Speyer, Frankfurt und Halberstadt, Hamburg und Berlin, stehen seitdem Landsberg und Po-cking, Feldafing und Föhrenwald, Zeilsheim und Eschwege, um nur einige der größten jüdischen DP-Lager zu nennen.