Im diesjährigen Bundestagswahlkampf gibt es kaum ein Thema, das die Gemüter so erregt wie die Wohnungs- und Mietenpolitik. Die politischen Vorschläge gehen von einem bundesweiten Mietendeckel über kostengünstiges Bauen bis hin zu klimagerechtem und ökologischem Stadtumbau. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hatte dieses Themenfeld gar so beschrieben: »Wohnungsfrage – die soziale Frage unserer Zeit«.
Derweilen hat das Judentum sich schon seit der Antike mit der Frage auseinandergesetzt, was es bedeutet, ein Dach über dem Kopf zu haben. Das Laubhüttenfest Sukkot, das sieben Tage lang im Herbst gefeiert wird, erinnert an die Wüstenwanderung ins Gelobte Land und die provisorischen Wohnstätten (Sukkot), in denen unsere Vorfahren gelebt haben.
TREND Die jüdische Religion wählt sehr bewusst ausgerechnet diese zumeist kältere und nasse Jahreszeit aus. Zum einen soll das Gefühl, keinen festen Wohnsitz zu haben – wie die Israeliten nach ihrem Auszug aus Ägypten – besser vermittelt, zum anderen soll man dennoch in seinem Glauben bekräftigt werden.
In Deutschland gibt es heute bis zu einer Million wohnungslose Menschen. Dies bedeutet, dass sie nicht über einen mietvertraglich abgesicherten Wohnraum verfügen. Rund 50.000 Menschen sind gar obdachlos und leben auf der Straße. In der deutschen Bevölkerung werden Obdach- und Wohnungslosigkeit meist rund um Weihnachten diskutiert.
Das Privileg eines gesicherten und privaten Wohnraums haben selbst im vermögenden Deutschland nicht alle, darunter viele jüdische Zuwanderer.
Das Judentum setzt mit Sukkot schon im Herbst den Trend, sich damit auseinanderzusetzen. Die Mietpreise steigen in den deutschen Städten kontinuierlich an, sodass der Staat in großen Städten mittlerweile mit Instrumenten wie der Mietpreisbremse und der Einführung eines verbindlichen Mietspiegels reagiert. In Berlin werden auch Milieuschutzgebiete ausgewiesen, um Bestandsmieter abzusichern.
ALTERSARMUT Das Privileg eines gesicherten und privaten Wohnraums haben selbst im vermögenden Deutschland nicht alle. Unter vielen jüdischen Zuwanderern aus der ehemaligen Sowjetunion herrscht heute Altersarmut. Viele sind auf staatliche Hilfen angewiesen – ebenso wie auf Unterstützung beim Wohnen. Oft sind diese Wohnungen nicht behindertengerecht und in schlechtem Zustand.
Demnach ist Sukkot für Juden hierzulande sowohl ein politisches als auch ein zeitgenössisches Fest. Im Vordergrund stehen aber der Gedanke der Befreiung aus dem Exil, die Reinigung von Sünden und die Nähe zu Gott. Politisch interpretiert heißt das, dass auch die schwerste Lage endlich – und vor allem lösbar ist.
Der Autor ist politischer Berater in Berlin.